Auch Thomas Roithner hätte beim Festakt am 27. Juli sprechen können, der österreichische Friedensforscher. Oder seine deutsche Kollegin Nicole Deitelhoff. Und Philipp Hochmair, leicht abgedrehtes, freies Radikal der Schauspielerzunft als Jedermann? Auch das wäre eine Idee gewesen. Ebenso wie Mozarts „Le nozze di Figaro“ mit Pygmalion, dem aufregenden französischen Barockensemble, unter seinem Chef Raphaël Pichon. Doch stattdessen tritt der Physik-Nobelpreisträger Anton Zeilinger ans Rednerpult, mit Michael Maertens holte man einen etablierten Star für den „Jedermann“. Und der „Figaro“ wird zwar tatsächlich von Pichon dirigiert, doch der muss mit den Wiener Philharmonikern zurechtkommen, die schon immer zu wissen glaubten, wie Mozart geht. Intendant Markus Hinterhäuser, so heißt es, habe sich bei diesem Filetstück nicht gegen das Traditionsorchester durchsetzen können.
Alles symptomatisch für die diesjährigen Salzburger Festspiele, die am 20. Juli starten, um bis Ende August 179 Aufführungen an 15 Spielstätten zu bieten. „Die Zeit ist aus den Fugen“, ein Zitat aus Shakespeares „Hamlet“, dient als Motto. Zu spüren ist programmatisch davon wenig, Adenauers „Keine Experimente“ hätte auch gepasst.
Das Festival hat es sich behaglich im Bewährten eingerichtet. Opernpremieren wie „Falstaff“ und „Macbeth“ von Verdi plus Mozarts „Figaro“, inszeniert von Christoph Marthaler, Krysztof Warlikowski und Martin Kušej, all dies hat weniger mit Kultur-Speerspitze zu tun. Einzig dank Martinůs „Griechischer Passion“, einer Verknüpfung von Flüchtlingsdrama und Religion, bewegt sich Salzburg auf aktueller Debattenhöhe. Wobei man auch hier mit Simon Stone auf einen gern gebuchten Regie-Mann zurückgriff.
Wie jeder Intendant muss Hinterhäuser mit einem gewandelten Publikumsverhalten zurechtkommen. Die Säle laufen nicht mehr automatisch voll, das stellt gerade auch Katharina Wagner bei der Bayreuther Konkurrenz fest. Hinterhäusers Konsequenz: ein leidlich ambitioniertes „Weiter so“. Auch im Konzertprogramm, das die bekannten Namen versammelt, sich aber in einer Reihe immerhin dem Komponisten György Ligeti (1923-2006) widmet. Interessant dabei, dass die ungewöhnlichsten Konzerte gleich zu Beginn passieren: Die Reihe „Ouverture spirituelle“ hat sich mit ihrer Programmatik zum vielschichtigsten Biotop der Festspiele gemausert.
Hinterhäuser ist zugute zu halten: Vieles ist schon ausverkauft, vor allem im Opern-Programm. Auch Schauspiel-Chefin Bettina Hering hat in ihrem letzten Sommer mit Lessings „Nathan der Weise“ (Regie: Ulrich Rasche, Titelrolle: Valery Tscheplanowa) und „Liebe (Amour)“ nach dem Film von Michael Haneke (Regie: Karin Henkel) oder einer Bearbeitung von Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“ (Helgard Haug) stark Nachgefragtes vorgelegt. Der „Jedermann“ ist ohnehin ein Selbstläufer. Außerdem: Die Öffnung für ein Publikum abseits der Beklunkerten und Befrackten funktioniert. Für die meisten Veranstaltungen beim Festspielfest am 22. Juli etwa gibt es keine Karten mehr. Hinterhäusers Festhalten am Bewährten geht sogar so weit, dass er umstrittenen Stars wie Teodor Currentzis weiter eine Plattform gibt. Der darf heuer zwar keine szenische Oper dirigieren, ist aber mit einer konzertanten Version von Purcells „The Indian Queen“ und der traditionellen Aufführung von Mozarts c-Moll-Messe dabei. Beides ausverkauft.
Der Blick auf die Bilanz gepaart mit einer gewissen Mutlosigkeit und Trägheit gebiert eben Programme wie 2023. Dabei gäbe es auch politisch einiges zu sagen. Im Bundesland Salzburg ist seit Juni eine ÖVP-FPÖ-Regierung am Werk. Während 250 Kulturschaffende in einem offenen Brief protestierten („Keine Koalition mit der FPÖ“), reagierte Hinterhäuser überraschend: Dem Mitinitiator und Schauspieler Cornelius Obonya warf der Intendant bekanntlich „bemerkenswerte gedankliche Schlichtheit“ vor und „abgenutzten Aktionismus“, um zugleich einen „aufrichtigen, auch harten politischen Diskurs“ zu fordern. Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) werden übrigens seit Jahren Ambitionen auf den Präsidentenposten bei den Festspielen nachgesagt.
Gut möglich auch, dass das Festivalteam schon zu lange im eigenen Saft schmort. Der Salzburger Hinterhäuser kam 1993 zunächst als Konzertmann zu den Festspielen und ist mit Unterbrechungen seitdem dabei. Auch auf anderen Posten gibt es bekannte Gesichter. Helga Rabl-Stadler schied erst 2021 nach 26 Jahren als Präsidentin aus, mit Nachfolgerin Kristina Hammer kam es prompt zu Komplikationen. Andere Intendanten von außen hatten in der Vergangenheit schnell Probleme mit der fest gefügten Salzburger Führungsfamilie. Umso interessanter bis vielversprechender ein Gerücht, das seit Monaten die Runde macht: Barrie Kosky, Ex-Intendant der Komischen Oper Berlin, könnte es sich gut vorstellen, Hinterhäuser 2026 nach Ablauf von dessen Vertrag zu beerben. Der Australier, so viel gilt als sicher, könnte die Festspiele wohltuend aufmischen.
Informationen
zum Programm und zum Vorverkauf unter
salzburgerfestspiele.at.