Kleider machen Laune

von Redaktion

Die „Fashion Freak Show“ von Jean Paul Gaultier feierte Premiere in München

VON MICHAEL SCHLEICHER

Am Anfang war das Wort? Pustekuchen. Ein Teddybär, Nana, markiert den Beginn dieser kunterbunten Lebensgeschichte. Und Lippenstift. Dazu eine alte Zeitung. Noch Zwirn, Nadeln – und schon tobte sich der kleine Jean Paul aus, malte dem Kuscheltier rote Lippen in die Schnauze, schneiderte ihm einen BH, dessen Form stark an jenen erinnert, den Jahrzehnte danach Madonna tragen sollte.

Wie kann’s daher anders sein? Nana eröffnet die „Fashion Freak Show“, die jetzt ihre umjubelte Deutschlandpremiere in der Münchner Isarphilharmonie feierte (siehe Artikel unten). Diese knapp zweieinhalb Stunden (eine Pause) zelebrieren in einem wilden Spektakel ein ebensolches Arbeitsleben, und als Jean Paul Gaultier zum Finale „Tout le monde il est beau“ (Jeder ist schön), das Credo dieser Inszenierung und seiner Mode, auf die Bühne kommt, um allen zu danken, hält’s niemanden mehr auf den Sitzen.

Hier ist dem 71-jährigen Franzosen, seiner Co-Regisseurin Tonie Marshall und der Choreografin Marion Motin ein kurzweiliger Zwitter geglückt, der nur in der ersten halben Stunde etwas braucht, um Schwung aufzunehmen. Sehenswert werden Elemente der Revue mit Akrobatik, viel Erotik, Tanz, Film, Musik, Witz sowie natürlich Mode verwoben.

Den Handlungsrahmen gibt dabei grob Gaultiers Werdegang vor. Nach Nana („Jean Paul, was hast du mit dem Teddy angestellt?“) folgen Hänseleien in der Schule, dann geht’s Schlag auf Schlag: Inspiration durch die Oma und Jacques Beckers Film „Falbalas“, Assistenz bei Pierre Cardin, erste eigene Kollektion 1976, inklusive Wutgeheul der „Fashion Police“. Das hätte ein zähes Stationendrama werden können, ist aber ein gut gelaunter Ritt durch die Geschichte. Dass er glückt, liegt am überzeugenden Ensemble aus Akrobaten, Models, Tänzern um Sängerin Demi Mondaine, die sich die Hits der Zeit angstfrei und wunderbar entschlackt zu eigen macht.

Choreografisch wird fast die gesamte Formensprache des Tanzes zitiert, besonders glücken die heftigen Wechsel von klassisch zu zeitgenössisch. Höhepunkt sind die Pas de deux, bei denen die jeweiligen Partner gemeinsam in einem übergroßen Gaultier-Stück stecken, was die Bewegungen noch raumgreifender fließen lässt. Wunderschön ist das und ein Genuss – logisch, schließlich wird auch von Francis erzählt. Der Lebensmensch des Designers stirbt 1990 an Aids. Ein Thema, das so wenig ausgespart wird (zum Aufruf „Protect yourself“ werden Kondome im Saal verteilt), wie Schönheits-OPs gegeißelt und der Wahn nach scheinbarer Perfektion als Horrorshow entlarvt werden. Dramaturgisch sind das wichtige Kontrapunkte in einer gut gelaunten Produktion, die zudem technisch virtuos mit Filmprojektionen auf beweglichen Leinwänden überzeugt und artistisch mitunter an den Cirque du Soleil erinnert – nur besser gekleidet.

Denn die Mode ist das Zentrum. Das Regie-Duo hat allerdings klug auf massives Namedropping verzichtet: Madonna, die Deneuve, die Filme von Almodóvar und Besson sowie viele andere, die von Gaultier ausgestattet wurden, kommen vor – aber en passant und gern mit Augenzwinkern. Wer 2015 bei seiner Werkschau in Münchens Kunsthalle die Kreationen im Detail studiert hat, erlebt sie hier nun – quasi als Ergänzung – am Körper; Skulpturen in Bewegung. Dabei überzeugen nicht nur die längst zu Ikonen gereiften Teile, die vom kundigen Premierenpublikum bejubelt werden, sondern etwa auch die Entwürfe für Männer; mit der Deneuve als staubtrockene Ansagerin im Video. Bei anderen Arbeiten wiederum werden die Vorbilder klar: Londons Punk hat Vivienne Westwood (1941-2022) eben früher, konsequenter, besser in ihrem Schaffen gespiegelt.

Es ist der interessanteste Aspekt des Abends, dass er – zwar verkürzt, dennoch deutlich – herausarbeitet, wie die Gesellschaft die Mode beeinflusst und umgekehrt. Klingt theoretisch, aber keine Sorge: Die „Fashion Freak Show“ feiert das Leben. Ordentlich!

Weitere Vorstellungen

bis 27. Juli; Karten unter www.muenchenevent.de.

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