Ein paar Minuten gibt es, wir befinden uns kurz vor dem Suizid der Titelheldin, da passiert fast gar nichts. Der Chor schickt summend seine gramvolle Melodie in die Nacht, die gewellte Bühne strahlt in gedecktem Blau und Grau, darauf die einsame Titelheldin ohne jegliche Regung – und das in Bregenz. Dort, wo es bei der Vorgängerproduktion mit Verdis „Rigoletto“ bis an die Belastungsgrenze spektakelte und wo ab nächstem Jahr bei Webers „Freischütz“, wieder in der Regie Philipp Stölzls, Ähnliches zu erwarten ist.
Puccinis „Madame Butterfly“, inszeniert von Andreas Homoki und im Bühnenbild von Michael Levine, ist vor diesem Hintergrund eine Seebühnen-unübliche Provokation. Ein Statement, das den Shows der Vergangenheit zuruft: Hey, es geht auch ganz anders. Nur mit Lichtstimmungen und dezenten Videos. Mit Vertrauen auf Puccinis weit ausgreifende Musik, die keine Verdopplungen braucht. Und wenn es doch einmal einen Einfall gibt, das Erscheinen des von Sklaven durchs Wasser geschleppten Fürsten Yamadori, dann wirkt das gleich wie eine Sensation: Bei Stölzl pflegt so etwas ja im Halbminutentakt zu passieren.
Auch im zweiten Jahr behauptet sich diese „Madame Butterfly“ als konzentrierteste, klassischste, fokussierteste Produktion der jüngeren Bregenz-Historie. Der Abend ist kaum mehr als Guckkastentheater im Giga-Format. Stücktitel und Schwärmen des Vorjahrespublikums sorgten dafür, dass die Abende bis Ende August (Stand jetzt) zu 90 Prozent gebucht sind – ein fürs zweite Bregenzer Aufführungsjahr hoher Wert. Und auch Klang-Connaisseure sind bestens versorgt. Levines gewelltes Riesenpapierblatt, das sich steil nach oben biegt, bietet optimale akustische Voraussetzungen. Der Klang wird ideal reflektiert, ist fast überpräsent.
Mittlerweile ist die Tontechnik so weit, dass Experten die Musik mitstenografieren könnten. Was auch an Dirigent Enrique Mazzola und den Wiener Symphonikern liegt. Mazzola gibt in Bregenz das Stil-Chamäleon: tags zuvor mit einer musterhaften Deutung von Verdis „Ernani“ und nun mit einem sehnigen, straffen, von geschmackvollen Verbremsungen durchzogenen Puccini weit unterhalb der Vollfettstufe.
Erstaunlich präzise wird das realisiert – gerade wenn man an die schlingernden „Butterflys“ in normalen Opernhäusern denkt. Dort würde Homokis Regie mutmaßlich Kitsch-Alarm bis zum Shitstorm wegen kultureller Aneignung auslösen. In Bregenz rettet ihn das XXXL-Format. Seine naive Nacherzählung, die kaum angekränkelt ist von Kritik am Kolonialismus und falschen Männlichkeitsidealen, zeigt sich hier als routiniertes Handwerk mit gut dosierten Schauwerten. Umso heftiger der Schlusseffekt, wenn das Riesenblatt in Videoflammen steht bis hin zur echten, feurigen Explosion am oberen Rand und zum Schlussakkord – was so schnell kommt, dass 7000 auf der Tribüne nicht rechtzeitig das Smartphone zücken können.
Traditionell sind in Bregenz die Rollen bis zu dreifach besetzt. Barno Ismatullaeva singt die Butterfly mit nimmermüder, konzentrierter, nie übersteuerter und flexibler Tongebung. Otar Jorjikia ist ein klangschöner Pinkerton, der sich nicht zum Forcieren verführen lässt und lieber auf die Technik vertraut. Brett Polegato riskiert einen verhaltenen Sharpless – und zieht dadurch nur umso mehr Aufmerksamkeit auf sich. Annalisa Stroppa bleibt als Suzuki Bregenzer Sympathieträgerin. Sehr subtil bis virtuos ist die Verschränkung von Choristen sowie Tanz- und Statisterie-Action. Bei Homoki sieht sich die tragische Heldin zudem mit weißen, maskierten Geistern ihrer Ahnen konfrontiert, die sie letztlich in den Tod treiben. Auf dass am Ende das Publikum die Taschentücher zückt. Und bis zum Saisonende hoffentlich nie das Regencape.
Weitere Vorstellungen
bis 20. August; Termine und Karten unter
bregenzerfestspiele.com.