Wir können nur ahnen, wie Cosima Wagner reagiert hätte, die hohe Frau des Hügels. Mutmaßlich mit Verwünschungen à la „Frevel“, „Entweihung“ oder „Schändung“. Gatte Richard hätte das alles andere als eng gesehen: Musik von Berg, Gershwin, Ravel oder Aerosmith in Hörweite des Festspielhauses – warum nicht? Und umso besser noch als Open Air, wie es die Bayreuther Festspiele auch heuer praktizieren.
Es ist das zweite Jahr, in dem das Festival dieses Gratis-Projekt im Park an der Auffahrtsallee riskiert. Hunderte machen sich am Montag mit Klappstühlen und Picknick-Decken auf, dabei die Wettervorhersage („Schwere Gewitter“) ignorierend. An der Straße werden an Ständen Getränke verkauft. Kein Tröpfchen wird den gut zweistündigen Abend trüben – wohl aber das Programm.
Eingeklemmt von Wagners „Parsifal“-Vorspiel und dessen „Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“ gibt es da eine Klangschlachtplatte, die nach Schweinsbraten mit Vanillesoße schmeckt und unterm freien Himmel nur schwer für Stimmung sorgt. Erst als Dirigent Markus Poschner mit dem Festspielorchester Ravels „La Valse“ durch den Park donnern lässt, brandet erster Jubel auf. Ansonsten verirrt sich alles bis hin zu Häppchen aus Bergs „Wozzeck“ oder Verdis Falstaff-Monolog. Das ist von Daniela Köhler (Sopran), Magnus Vigilius (Tenor) und Ólafur Sigurdarson (Bariton) hinreichend bis hochachtbar gesungen, zündet aber nur selten. Zumal es ständig von Axel Brüggemanns bemüht amüsanten Moderationen unterbrochen wird, dem irgendjemand stecken müsste, dass er nicht die Hauptperson des Happenings ist. Eine wunderbare Idee ist diese Freiluftaktion trotzdem – aber dringend entwicklungsbedürftig.
Auf dem Zenit ist dagegen die Kinderoper der Festspiele angekommen. Wie im großen Haus spielt man heuer einen neuen „Parsifal“, allerdings eingedampft auf 70 pausenlose Minuten. Und die sind, musikalisch bearbeitet von Marko Zdralek und inszeniert von Giulia Fornasier, so ziemlich das Beste, Lustigste, Berührendste, das bislang bei den Bayreuther Nachwuchsaktionen zu erleben war.
Listig werden nicht jugendfreie Klippen umschifft. Kundrys hocherotischer Erweckungskuss für Parsifal ist ein längerer Schmatz. Überhaupt gibt es eine doppelte, eine gute (Irmgard Seemann) und hexenböse Kundry (Nadine Weissmann). Klingsor (Werner van Mechelen) muss sich nicht outen, dass er sich das Gemächt entfernte. Am allseitigen Happy End darf er sogar mit der dunklen Kundry teilnehmen, nachdem er ein „Schuldigung“ Richtung Gralsritter gemurmelt hat.
Linda Tiebel hat dafür eine Ritterburg-Bühne gebaut. Das Herunterlassen und Aufziehen der Zugbrücke zu Wagners Wandlungsmusiken ist der größte szenische Gag – abgesehen von den scheinbar schwebenden, fluoreszierenden Blütenkelchen in Klingsors Zaubergarten. Alles driftet weg von Wagners Weihespiel, hin zu „Ritter der Kokosnuss“. Der wunde Gralskönig Amfortas (herrlich: Ólafur Sigurdarson) muss im Bällebad greinen und seinen Vaterkomplex gegenüber Titurel (Jens-Erik Aasbo) pflegen. Parsifal (Jonathan Stoughton) mischt als Robin Hood das Geschehen auf, während der knorrige Gurnemanz (Andreas Hörl) von einer ferngesteuerten Mini-Ente verfolgt wird und das Personal Richtung Rückgabe des heiligen Speers bugsiert.
Azis Sadikovic dirigiert das mal zartbittere, mal dröhnende Brandenburgische Staatsorchester. „Soll der Gral die Kraft dir schenken, lass dich nicht ablenken“ bekommt der Titelheld (zunächst vergeblich) eingebläut. Er rafft es spätestens dann, als ihm das Credo aus dem Kinderpublikum entgegenkräht. Nach allgemeiner Versöhnung wird die leuchtende Gralsschublade aufgezogen, es regnet Flitter für alle, während das Gurnemanz-Entchen Nachwuchs bekommen hat. Heftiges Trampeln in der Premiere, manch einer fummelte auch nach dem Taschentuch.
Weitere Vorstellungen
der Kinderoper bis 4. August; bayreuther-festspiele.de.