Schwimmfest

von Redaktion

Bayreuther Wiederaufnahme von „Das Rheingold“

Tony Bennett, gerade mit 96 Lenzen gestorben, war (fast) der Letzte seiner Art. Einer, der seine Songs dahinschlenkerte, immer eine lässige Spur neben dem korrekten Rhythmus – auf dass man sich irgendwann mit der Band auf der Eins irgendeines Taktes wieder treffe. Frank Sinatra veredelte die gewollte Unpräzision zur Perfektion. Doch die Crooner leben fort, dummerweise in Richard Wagners „Rheingold“, in einer Musik, in der sie eigentlich nichts zu suchen haben.

Bei der Bayreuther Wiederaufnahme heißen sie Tomasz Konieczny (Wotan) und Daniel Kirch (Loge) und können kaum einen Takt geradeaus singen. Das Lässige erheben sie an diesem Festspiel-Abend zur Stilform, was bald so penetrant eitel wird, dass man sich wundert, warum es das Rest-Ensemble dabei nicht ständig aus der Kurve trägt. Das Ungebremste setzt sich darstellerisch fort, wobei Kirch als tuckiger Entertainer seinen Feuergott fast bis in die Karikatur treibt. Eine Regie, die das kanalisiert, gibt es nicht. Nicht nur deshalb driftet dieser erste „Ring“-Teil oft ins Schwimmfest.

Dirigent Pietari Inkinen, bei der Premiere 2022 bekanntlich wegen Corona verhindert, hat noch keine rechte Idee vom Stück. Die Tempi sind zügig (anders als viele befürchteten), an vielen Stellen ist ein Kümmerer zu spüren. Einer, der die Angebote des Festspielorchesters nutzt. Doch manches zieht auch pauschal vorüber und ist, ein Hauptproblem, ungenügend mit der Bühne verzahnt. Dieser Wiederaufnahme-Abend klingt dann wie die x-te Repertoirevorstellung, aber nur wenig nach Festival.

Regisseur Valentin Schwarz mag manche Szene geschärft haben. Allerdings stellt er sich mit seinem Realismus wieder mehrfach selbst ein Bein. Alberichs geraubtes Rheingold ist hier ein Kind – auf dem, eigentlich ein schöner Gedanke, alle Hoffnung ruht. Doch erzieht er den Rotzbengel zum Rächer, bis dieser von Wotan und seiner Schicki-Sippe entführt wird. Den Göttervater verbindet eine lange Geschichte mit Alberich: Beide sind Zwillingsbrüder, die sich schon im Mutterleib – das zeigt ein Video zum Orchestervorspiel – bekämpften.

Oberflächlich hört sich das schlüssig an, nach spannender Familiensoap, auch die verschiebbaren Bühnenelemente von Andrea Cozzi, die Verwandlungen auf offener Szene erlauben, sind ein Plus der Produktion. Im Detail offenbaren sich allerdings immer wieder Ungereimtheiten, Hilflosigkeiten und logische Brüche. Manche Figuren wirken zeitweise wie abgestellt oder verkrampft am Leben gehalten. Bei anderen vertraut Schwarz auf die Eigeninitiative des Gesangspersonals. Wer oder was dieser machtbringende Ring ist, das wird nicht recht deutlich, überhaupt gibt es eine Unwucht an szenischen Zeichen: Manche sind klein und schrumpfen aufs Bedeutungslose, anderes, Nebensächliches wird aufgeplustert.

Zu hören ist auch ein heterogenes Ensemble, aus dem nicht nur aufgrund ihrer Größe die Riesen Fasolt (Jens-Erik Aasbo) und Fafner (Tobias Kehrer), aber auch Okka von der Damerau (Erda), besonders Olafur Sigurdarson als Alberich herausragen.

Der Isländer ist am dritten Festspieltag schon in seinem dritten Einsatz zu bestaunen. Zunächst beim Open-Air-Konzert zur Eröffnung, dann als urkomischer Amfortas im Kinder-„Parsifal“ (wir berichteten) und nun als scharfkantig phrasierender, hochflexibler und eher hell timbrierter Alberich. Die Rolle wird von ihm nicht dämonisch aufgedonnert. Hier erlebt man tatsächlich einen Enttäuschten und Zu-kurz-Gekommenen, einen Desperado mit Lederjacke und Revolver, der seine Wut auf die Wotans auch als Klassenkampf auslebt. Ein Charakterkünstler eben, der problemlos ohne Regie-Mätzchen auskommt.

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