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von Redaktion

AUSSTELLUNG Die Galerie Françoise Heitsch zeigt Werke von Cosy Pièro und Philipp Gufler

VON KATJA KRAFT

Man schaut ja generell viel zu selten in der Gegend herum. U-Bahn-Haltestelle Brudermühlstraße beispielsweise. Wer dort wartet, sollte einfach mal das Köpfchen weg vom Handydisplay hin zur blau gekachelten Wand richten. Dann sieht man sie, die Wellblech-Werke von Cosy Pièro. Hintergleisarbeit statt Hinterglasarbeit. In jedem Falle: hintersinnig.

So war sie, diese große Künstlerin, Sängerin, Kneipenchefin, Menschenfreundin Cosy Pièro. Am 13. Juni 1937 in Köln geboren, als Christina Conscience aufgewachsen. Aber schon mit 14 zog sie bei den Eltern aus und in die weite Welt hinein, um Kunst zu studieren. Allein das eine phänomenale Geschichte für sich. Die Pièro konnte viele davon erzählen. Leider ist sie vor wenigen Wochen verstorben, kurz nach ihrem 86. Geburtstag. Doch in München ist sie noch an etlichen Orten präsent. Weil sie die Stadt mitgeprägt hat. Damals, in ihrer Bar „Bei Cosy“, Klenzestraße 8. Mitten im Glockenbachviertel, das in den Sechzigern, Siebzigern, Achtzigern noch bunter war als heute. Pièro als eine, die auch in der Liebe keine Grenzen kannte, mittendrin.

„Sie hat Menschen zusammengebracht, war überaus sozial eingestellt. Auch als Künstlerin hat sie immer jungen Kolleginnen und Kollegen geholfen. Eine ungemein faszinierende Persönlichkeit“, sagt Françoise Heitsch. Die Münchner Galeristin zeigt noch bis Samstag eine Ausstellung mit Arbeiten von Cosy Pièro und dem 34-jährigen Philipp Gufler. Zwischen den beiden liegen fünf Jahrzehnte, doch sie waren enge Freunde. Alter, Geschlecht, Herkunft, wen kümmert’s?

Seelenverwandtschaft, das ist ein großes Wort. Doch hier glaubt man daran: Wenn man Pièros und Guflers Werke sieht, die wie symbiotisch zusammen in der Galerie hängen. Da entsteht ein Gedanken-Ping-Pong im Kopf, scheinen Guflers Siebdrucke wie eine Weiterführung der Welten, die Pièro in ihren Collagen entwirft.

In „die Zeit, das Geld, der Krieg“ verbindet sie Acryl- und Bleistiftzeichnungen mit Texten. Die Kombination ist es, die lange nachwirkt. Ein Affenkopf, Skizzen, die an die menschliche DNA-Struktur und Knochen erinnern. Dazu Wortketten: „Die Zeit. Das Geld. Der Krieg“, mehrere Zeilen Abstand. Und wieder: „Die Zeit“. Ende des Papiers. Doch das Hirn spinnt weiter. Hinterfragt, womit wir uns gedanklich ständig und womit wir uns zu wenig befassen. Während die Zeit erbarmungslos dahin rinnt.

Die ständige Selbstbespiegelung, mit der wir unsere Stunden vertun, auch Gufler nimmt sie in einer Reihe von Siebdrucken auf Spiegeln auf. Er exerziert die gesamte Farbpalette durch, von „Quindo Rosa“ über „Perlglanz Prisma Magenta“ zu „Orasol Rot“ – allein die Namen der Farbtöne, mit denen er die Spiegel kunstvoll überzogen hat, klingen wie ein Gedicht. Je nach Farbe wirkt das eigene Antlitz müder, munterer, dicker, dünner, trauriger, fröhlicher. Ganz so, wie unser Blick auf uns selbst je nach Stimmung variiert. Tausende Farben, in denen wir schimmern können. Für welche entscheiden wir uns?

Ein Fanzine liegt auch in der Galerie. Sie erzählt von Cosy Pièro und ihrer Bar „Bei Cosy“. Darin ein Foto einer alten Einladung zur „Verrücktesten Nacht des Jahres“. Am 14. Februar, Fasching. Die Kneipenbesitzerin schreibt: „Liebe Gästleins … Ich schlage vor, mit weniger Geld, aber dafür mit besonders guter Laune und einem besonders verrückten Kostüm zu erscheinen. (der) oder (die) oder (das) Tollste erhält eine Riesenüberraschung.“ In den Zeichnungen, die um den Text ranken, schmusen und tanzen und freuen sich Männlein, Weiblein – Menschlein. Und sehen sehr fröhlich dabei aus. Kunst und Leben miteinander verbinden und dadurch auch die, die sie betrachten, dazu zu animieren, jeden sein zu lassen, wie er ist – das konnte Cosy Pièro. Es wird Zeit, sie (wieder) zu entdecken.

Galerie Françoise Heitsch

Amalienstraße 19, heute 14 bis 19 Uhr und am morgigen Samstag von 12 bis 16 Uhr; Telefon: 89 269 49 110.

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