Buntes Leben voller Widersprüche

von Redaktion

Eine Schau in Berlin erzählt von Wolf Biermann

VON SABINE DULTZ

„Vielleicht werden wir alle bald eingezogen. Ich mag kein Soldat werden.“ Das schreibt am 3. April 1955 der 18-jährige Wolf Biermann an seine Mutter Emma in Hamburg. Es ist das Jahr, in dem die Bundesrepublik der Nato beitritt und die DDR dem Warschauer Pakt. Zwei konträre politische Systeme stehen sich militärisch gegenüber. Biermann selbst ist im Frühjahr 1953 in die DDR übergesiedelt, in die Internatsschule im mecklenburgischen Gadebusch. Biermanns Vater Dagobert war ein Hamburger Werftarbeiter, Kommunist und Jude, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Mutter Emma setzte all ihre Parteibeziehungen ein, damit ihr Junge, der natürlich aus politischer Überzeugung damit einverstanden war, im jungen Staat DDR, dem vermeintlich besseren Deutschland, einen gesicherten, sozialistischen Lebensweg einschlagen kann.

Von diesem bunten Lebensweg voller Widersprüche, politischen Erfahrungen und Wandlungen, voller künstlerischer Höhepunkte und individueller politischer Niederlagen erzählt jetzt im Deutschen Historischen Museum in Berlin die Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“. Das zitierte Briefgeständnis lässt bereits erkennen, dass der kurz vor dem Abitur stehende Junge nicht DDR-konform denkt. Zehn Jahre später singt er denn auch: „Soldaten sind sich alle gleich – lebendig und als Leich.“ Wirtschaftswissenschaften wolle er studieren, schreibt er; ein Studienplatz für Politische Ökonomie ist ihm sicher. Doch tatsächlich hält es ihn nicht lange an der Humboldt-Universität, wo es zu Konflikten kommt mit der FDJ und der SED, deren Beitrittskandidat er zu jener Zeit ist. Biermann wechselt die Fronten, von der Wissenschaft zur Kunst, nicht mehr Student an der Uni, sondern Regieassistent am Berliner Ensemble.

Von all dem berichtet die Schau. Sie zeigt nicht nur den Weg des jungen Sängers und Dichters, sondern nachzuverfolgen ist anhand von Dokumenten, Briefen und Staatssicherheitsunterlagen auch die Strecke, die die DDR in jenen Jahren zurücklegt. Unvorstellbar und hier gut vor Augen geführt bleibt die schier nahtlose Überwachung des Künstlers und der Privatperson Biermann. Bedrückend noch heute.

Während die Kulturpolitik der SED immer rigider wird, ist Biermanns Weg in den Ruhm unaufhaltsam. Er ist nicht korrumpierbar. Das erteilte Auftrittsverbot nach dem berüchtigten 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965, nach Hetzartikeln der Partei-Granden wie Klaus Höpcke und bestellten öffentlichen Verleumdungen durch Professoren und Arbeiter stärkt Biermann nur. Das macht ihn so einzigartig, hebt ihn ab von den meisten Künstlern in der DDR. Wenn auch eine scheinbar unausrottbare Legende sich hält, dass nach Biermanns berühmtem Konzert in Köln im November 1976 und seiner darauffolgenden Ausbürgerung die Elite der Künstlerinnen und Künstler des Landes, darunter Christa Wolf und Heiner Müller, in einem offenen Brief an die SED-Führung dagegen protestiert, lässt sich deren „Heldengeschichte“ auch anders lesen.

In jenem Schreiben ist, wie man in der Ausstellung lesen kann, nicht von einer Rücknahme-Forderung des Beschlusses die Rede, sondern von der eher unterwürfigen Bitte, „die beschlossene Maßnahme zu überdenken“. Ein die Herzen bewegendes Foto, von der Stasi aufgenommen, zeigt Biermann beim letzten Übergang von Ost nach West, vom Berliner Bahnhof Friedrichstraße zum Zug nach Köln. Beginn einer Reise ohne Wiederkehr – bis 1989, zum Mauerfall.

Aber jetzt erst einmal das neue Leben im Westen. Biermann hört nicht auf, sich einzumischen, zu schreiben, zu singen, zu predigen, aufzutreten. Und als im November ’89 die Mauer fällt, skandieren die Demonstranten in Leipzig mit dem sprichwörtlichen Humor der Sachsen: „Wir wollen unsern alten Sänger Biermann wiederhaben.“ Natürlich kommt er und gibt ein erstes, bejubeltes Konzert. In Berlin ist er bei der Erstürmung der Stasi-Zentrale dabei. Eine Zeichnung aus dem Jahr 1982, die er dort findet, offenbar einst konfisziert, hängt nun gut gerahmt in der Ausstellung. Titel des Bildes: „Suche“. Es zeigt einen von einem Grenzpolizisten kurz gefassten, einem Bahngleis dicht am Zug entlang geführten, scharf witternden Schäferhund. Ja, so war das, tagtäglich an den sogenannten Interzonenzügen. Eine bemerkenswerte, hervorragende Skizze. Ihr Schöpfer ist der Künstler Günther Rechn. Gern wüsste man, wie die Stasi zu diesem Bild kam, denn Rechn ist, wenn auch kein berühmter, aber ein angesehener Maler aus der DDR, der heute in Grosseto in der Toskana lebt. Man hätte ihn doch mal fragen können.

Die abschließende Krönung des Rundgangs bilden die jüngst aufgenommenen Biermann-Porträts der Fotografin Barbara Klemm, die den 86-Jährigen in seinem Hamburger Zuhause zeigen: einen hellwachen, mit seiner Lebensleistung zufriedenen, sein Dasein genießenden alten Meister.

Es ist eine große, sehenswerte, gut besuchte Schau. Sie enthält viele Möglichkeiten, Biermanns Lieder zu hören, Konzertaufnahmen zu sehen, Interviews und andere Film- und Tonmitschnitte nachzuerleben. Eine gleichermaßen unterhaltsame wie lehrreiche Stunde deutscher Geschichte und Kunst.

Bis 14. Januar 2024

Mo.-So. 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr; Katalog (Ch. Links): 25 Euro. Deutsches Historisches Museum Berlin, Pei-Bau; www.dhm.de.

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