Von einem anderen Stern

von Redaktion

The Weeknd liefert ein überwältigendes Spektakel im ausverkauften Stadion

VON KATHRIN BRACK

Nach einer Stunde lässt er die Maske fallen. 16 Lieder lang tänzelt die Kunstfigur The Weeknd verborgen hinter Chrom durchs bis in den letzten Winkel ausverkaufte Olympiastadion. Dann, als die letzten Töne von „Party Monster“ verklingen, zeigt Abel Makkonen Tesfaye sein Gesicht. Und ein breites Grinsen. Der 33-jährige Kanadier ist, gemessen an den Abrufen seiner Lieder, der wichtigsten Währung im Musikgeschäft, der populärste Künstler des Planeten. Und der Grund, warum rund 60 000 überwiegend junge Fans an diesem Abend ins Stadion gekommen sind.

Folgerichtig ist seine Show in München ein überwältigendes Spektakel von beeindruckender Ästhetik. Von der Hauptbühne, die die verchromte Silhouette halb zerstörter amerikanischer Städte ausfüllt, führt ein Steg beinahe durch die komplette Arena, vorbei an einer 15 Meter hohen Statue des japanischen Illustrators Hajime Sorayama, zur kleineren Nebenbühne. Über der ein gigantischer Vollmond hell leuchtend schwebt. Alles ist einfach überlebensgroß an diesem Abend. Der mit „Take my Breath“ seinen Anfang nimmt.

Was folgt sind zwei Stunden Hits und ja, eine gute Portion Größenwahn. 30 weiß gewandete und bis auf die Augenpartie verhüllte Tänzerinnen flankieren den Sänger. Stehen regungslos auf der Bühne. Schreiten in völliger Synchronität. Und zelebrieren rituelle Tänze, die wie Anbetung anmuten. 35 Songs stehen auf der Setlist der „After Hours till Dawn“-Tour, einige davon spielt The Weeknd nur kurz an.

Beim Einlass hat jeder Besucher ein Armband erhalten, das bei „Lost in the Fire“, dem fünften Song, seinen Zweck offenbart: 60 000 Handgelenke leuchten und blinken im Takt und tauchen das Stadion in ein zuckendes Farbenmeer. Auch eine Premiere gibt es an diesem Abend: In München singt er erstmals einen neuen Song, „Another One of Me“, live. Dazwischen bietet der Sänger alles an Hits auf, was auch die Eltern im Stadion aus dem Radio kennen. Zu Beginn klingt das etwas verwaschen, später bekommen die Techniker den Ton in den Griff.

Man vergisst bei all der optischen Reizüberflutung beinahe, dass The Weeknd ja auch ein überragender Sänger ist. Dessen Stimme nicht zu Unrecht mit der von Michael Jackson verglichen wird. Die die leisen wie die lauten Töne perfekt trifft. Dass sich viele der Songs ähneln, ein bisschen Elektro, ein bisschen Pop, ein bisschen R’n’B: geschenkt. Es ändert nichts an der Tatsache, dass der 33-Jährige die große Hitmaschine unserer Zeit und vor allem der Generation TikTok ist.

Und die ist hörbar begeistert, singt jeden Song lautstark mit, übernimmt bei „Save your Tears“ den Refrain, jubelt bei „Blinding Lights“ ihrem Star unterm Vollmond zu. Mit der Maske fällt auch die Distanz zum Publikum. The Weeknd taucht ab in den Bühnengraben, lässt Fans in der ersten Reihe ins Mikrofon kreischen – verständlicherweise sind die viel zu aufgeregt, um die Zeilen von „Out of Time“ ernsthaft zu singen. Trotzdem gibt’s ein Lob vom Meister: „Munich, you sound fucking wonderful tonight!“ München, du klingst wundervoll.

Als der Sänger nach dem letzten Song „Moth to a Flame“ in der Bühne versinkt, bleibt nur eine Frage: Sind Abende wie dieser überhaupt noch steigerungsfähig? Zumindest wird sich The Weeknd wohl nicht mehr selbst übertreffen, die Maske ist bei dieser Tournee nämlich auch symbolisch gefallen: Abel Makkonen Tesfaye will sich von seinem Alter Ego verabschieden und künftig unter seinem echten Namen Musik machen. Ganz gleich, wie er zurückkehrt: München wird ihn mit offenen Armen empfangen.

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