Der Mann war nicht out. Aber wachsende Konkurrenz, sich ändernder Geschmack und Auftragslage, all das sprach in den 1730er-Jahren schon etwas gegen Antonio Vivaldi. Auch, dass er Werke wie „La fida ninfa“ (die treue Nymphe) abseits der Opern-Hotspots uraufführen musste, in Verona nämlich, nicht in Venedig oder Rom. Das Feuer freilich loderte ungebrochen, angefacht von einer Handlung, die sich selbst beim Zweitlesen nur rudimentär erschließt und womöglich sogar dem Gesangspersonal im Augenblick der Aufführung nicht vollumfänglich klar ist.
Vor drei Jahren riskierte Regensburg den Dreiakter, damals als böse Satire. Die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, traditionell als Archivschürfer unterwegs, bleiben dicht dran am Text und an der Mixtur aus Schäferspiel und Verwechslungskomödie. Und dies im Haus der Musik, dessen Kellertheater automatisch Intimität herstellt. Man ist im Doppelsinn dicht dran am Geschehen, labt sich am Nachwuchsensemble und besten Karriereprognosen. Das kleinere Budget als nebenan im Tiroler Landestheater spornt da zur Tugend an.
Textdichter Scipione Maffei und Vivaldi mischen gleich mehrere klassische Opern-Topoi: Zwei junge Damen (nichts anderes meint hier „ninfa“) aus Skyros werden mit ihrem Vater vom Korsaren Oralto auf seine Insel Naxos entführt. Dort gibt es einen Statthalter, Morasto, einen Schäfer, Osmino, und bald jede Menge Amouröses. Naxos wird, gerade weil alle auf sich zurückgeworfen sind, zum erotisch aufgeladenen Eiland, Frustrationen und plötzliche Wendungen inklusive – stellen sich doch Morasto und Osmino als verschollene Skyros-Brüder heraus, die den Damen bestens bekannt sind.
Regisseur François de Carpentries meidet mit Ausstatterin Karine Van Hercke das Bukolische, vor der Pause ist das eine Vivaldi-Version von Shakespeares „Sommernachtstraum“. Zwischen kindlich schraffierten Bäumen und vor Sternenhorizont tauchen die Teilnehmer wie in einer traumhaften Versuchsanstalt in ihre emotionalen Wechselbäder. Später, mit ebenso angedeuteten Steinen, denkt man an die Felsen einer „Ariadne“-Aufführung. Augenzwinkernd und fantasievoll dabei die Kostümierung. Alle tragen gern Tierhüte, einmal wandelt ein geheimnisvolles Einhorn durchs Geschehen, Korsar Oralto ist ein Johnny-Depp-Wiedergänger à la „Fluch der Karibik“.
Ganz natürlich und unverkrampft werden die Charaktere entwickelt, de Carpentries vertraut zu Recht auf den Charme des Personals. Die Showstopper, Vivaldi schrieb eine für die Barockoper ungewöhnlich hohe Anzahl an Ensembles, sind subtile bis Rossini-haft überdrehte Choreografien. Und wer Arien-Arbeit leisten muss, darf gern an die Rampe. Zumal es einiges zu tun gibt: „La fida ninfa“ bietet teils sogar komplexere Kost als die erste Premiere des Innsbrucker Sommers, Vivaldis „L’Olimpiade“ (wir berichteten).
Achtbares bis Erstaunliches gibt es da zu hören. Chelsea Zurflüh als Nymphe Licori zum Beispiel mit ihrem scharf konturierten, flexiblen Sopran und aparten Klangsäurewerten. Oder Vojtech Pelka als Morasto mit seinem hoch gelagerten, energiereichen Countertenor, Yevhen Rakhmanin mit druckvollem Oralto-Bass. Auch Kieran White als Nymphen-Vater Narete, bei dem in der Premiere vielleicht nicht jedes Intervall präzise saß, dessen fein gestufter Tenorgesang aber sofort zum Hinhören einlädt – sein großes Lamento wird zu einem zentralen Moment der Aufführung.
Mit dem klein besetzten Barockorchester:Jung entwickelt Chiara Cattani, die alles vom Cembalo aus leitet, fast mehr Drive und Power als ihr Lehrmeister und Festwochen-Chef Alessandro De Marchi in der Eröffnungsproduktion. Nach der Pause erhöhen sich in den Arien Umdrehungszahl und Dramatik, die Bravour-Nummern häufen sich. Dank der Kürzungen (oft auch in den Da-Capo-Teilen) wird das zur Hitparade und zum sehr kurzweiligen Hör-Erlebnis. Mit der Gewissheit: Einem Teil dieser Besetzung dürfte man auf großen Bühnen wieder begegnen.
Weitere Vorstellungen
am 16., 17. und 19. August; www.altemusik.at.