Die Welt ist ungerecht und grausam, ein gottloser Ort – und die Menschen sind tendenziell schlecht, oft auch gefährlich. Zu diesem Schluss kommt Roman Polański, der damals noch Raymond Liebling heißt, schon im Alter von zwölf. Da hat er den Zweiten Weltkrieg und die mörderische Judenverfolgung der Nazis hinter sich.
Der US-Autor Lawrence Weschler hat einmal in einem sehr lesenswerten Essay über Polański geschrieben, man könne diesen Mann und sein Werk nur über seine Biografie verstehen: Der Schoah-Überlebende, dessen hochschwangere Mutter in Auschwitz ermordet wird und der sich als Kind vor den Nazis unter falschem Namen verstecken muss. Der Mann, der seine Heimat Polen verlassen muss, nachdem er in den Fokus der kommunistischen Machthaber geraten ist. Einer, der danach in Frankreich und in Hollywood als Regisseur sensationelle Erfolge feiert, dann jedoch miterleben muss, wie eine Bande Psychopathen seine schwangere Frau Sharon Tate abschlachtet, und der schließlich Hals über Kopf aus den USA flieht, weil er wegen „außerehelichen Verkehrs mit einer Minderjährigen“ (so steht es in der Anklageschrift) vor Gericht soll.
Wenn Polański heute seinen 90. Geburtstag feiert, wird er sich in seiner dunkelgrauen Weltsicht wohl bestätigt sehen: Er gilt trotz aller künstlerischen Verdienste und demonstrativer Solidaritätsbekundungen von Kollegen als zumindest umstrittene Persönlichkeit. Im Zuge der Debatten um #MeToo wird immer wieder sein Fall von 1977 aufgerollt, als Polański sich der US-Justiz entzogen hat.
Ein schwieriger Fall, auch wenn manche das gern anders darstellen. Denn Polańskis damaliges Opfer hat sich wiederholt an die Öffentlichkeit gewandt und gebeten, die Akten zu schließen. Die Frau hat sogar ein bitteres Buch darüber geschrieben, dass das ständige Hervorzerren der Tat von einst eine Art fortgesetzter Missbrauch sei – diesmal von Medien und selbst ernannten Sittenpolizisten, die ihr Martyrium verlängern. Sie wollte nie nur das Opfer von Polański sein, sie wollte das hinter sich lassen. Aber das alles scheint niemanden zu interessieren, weil ihr Wunsch nicht mit dem an sich ehrenwerten Ziel der Bewegung in Einklang zu bringen ist. Dass damals offenkundig die Staatsanwaltschaft nicht transparent agierte und der Richter möglicherweise befangen war – manchen Menschen ist das alles egal, sie dichten sogar noch schauerliche Details dazu, als ob der Fall nicht traurig genug wäre. Wie es der Betroffenen damit geht, kann man nicht einmal ahnen. Mit Polański hat die Frau jedenfalls ihren Frieden gemacht, aber das nützt ihm wenig in der öffentlichen Debatte.
Sein fulminantes Werk, eine ganze Handvoll brillanter Klassiker des Kinos sind darunter, wird davon überschattet. Dabei lohnt es sich, die Filme wieder zu sehen, angefangen mit seinem aufsehenerregenden Spielfilmdebüt „Das Messer im Wasser“ (1962), dem die kommunistischen Tugendwächter in Polen sehr zu Recht subversive Tendenzen unterstellten. Mit „Ekel“ (1965) hat der Regisseur dann in Frankreich Fuß gefasst, Filmgeschichte geschrieben und Catherine Deneuve als seriöse Schauspielerin etabliert. Mit „Tanz der Vampire“ (1967) und „Rosemaries Baby“ (1968) wird er zum Meister des Makabren, mit „Chinatown“ (1974) gelingt ihm sein bis dato größter Geniestreich, der in gewisser Hinsicht die Essenz seines Schaffens ist: Gegen die Verkommenheit der Welt hat der Mensch keine Chance – selbst Jack Nicholson als abgebrühtem Privatdetektiv mit massivem Arschlochpotenzial bleibt nur sprachloses Schaudern.
Es folgen mal grandiose, mal eher mittelgute Werke in der neuen französischen Heimat, aber wirklich schlecht ist Polański nie – außer beim legendär misslungenen „Piraten“ (1986). Im Alter gelingen ihm reife Meisterwerke wie „Der Pianist“ (2002), für den er den Regie-Oscar erhält, dazu „Der Gott des Gemetzels“ (2011) und sein wohl letzter Spielfilm „Intrige“ (2019), in gewisser Hinsicht seine persönlichste Arbeit, auch wenn die historische Dreyfus-Affäre das Thema ist. Es geht um das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Überzeugung, dass es Gerechtigkeit – wenn auch spät und unzureichend – geben kann.
Man solle das Werk eines Menschen beurteilen, nicht sein Leben, hat Polański einmal gesagt. Und dass er nur glücklich sei, wenn er arbeiten könne. Vielleicht macht er also doch noch einen Film.