Im Videoclip zu ihrem Ohrwurm „Paradise calling“ tanzt Birdy ausgelassen über eine Wiese. Zu treibenden Popbeats ertönen kräftige Synthesizer-Riffs. Dann schmettert die britische Sängerin und Songwriterin den mitreißenden Refrain, der sich schon beim ersten Hören im Kopf festsetzt. Sich zu diesem energiegeladenen Popkracher nicht zu bewegen, ist eigentlich unmöglich.
Munter begibt sich Birdy auf ihrem fünften Studio-Album auf neues musikalisches Terrain. Auf „Portraits“ überrascht die 27-Jährige mit einer wuchtigen Produktion und markanten Synthie-Sounds. „Ich wollte etwas machen, dass mir in der Entstehung Spaß macht“, erzählt Birdy im Interview. „Denn die letzte Platte war irgendwie so intim und introvertiert und der ganze Prozess ziemlich schmerzhaft.“ Auf „Young Heart“ hatte sie eine Trennung verarbeitet. „Danach wollte ich das genaue Gegenteil machen.“
„Portraits“ ist ein selbstbewusstes, vielseitiges Pop-Album, auf dem sich Birdy als gereifte Künstlerin präsentiert. Inspiriert worden sei sie dabei von Beth Gibbons, Patti Smith, PJ Harvey und Kate Bush. „Sie kreiert so eine wunderschöne Mischung“, sagt Birdy über Bush, „diese Mixtur von elektronischen und sehr traditionellen, klassischen, fast folkigen Instrumenten und Geschichtenerzählen – ich liebe es, wie das zusammenkommt.“
Birdys Nummer „Raincatchers“ ist gewissermaßen ein würdiger Nachfolger für Bushs „Cloudbusting“. Auch bei „Ruins II“ klingt ihre Begeisterung für die britische Ausnahmekünstlerin durch. Wiederum zeigt „Ruins I“, welchen Einfluss Portishead-Sängerin Gibbons hatte. „Der Mix aus elektronischen und akustischen Instrumenten, die Rohheit ihres Gesangs im Kontrast zu diesen härter klingenden Instrumenten“ hat es Birdy angetan. Und trotzdem zieht sie ihr eigenes Ding durch.
Nicht ein einziger Song auf „Portraits“ wirkt wie eine Kopie oder etwas Aufgewärmtes. Birdy ist immer nur Birdy. Ein britisches Magazin attestierte ihr in der Vergangenheit, sie habe ihr eigenes Genre geschaffen. Darauf angesprochen, nickt sie erfreut. „Die Leute fragen mich immer, wie ich meine Musik beschreiben würde. Und ich weiß es nicht wirklich. Meine Einflüsse kommen aus so vielen verschiedenen Richtungen, dass sich das schwer sagen lässt.“
Zwölf Jahre ist es her, dass die Sängerin, die bürgerlich Jasmine Lucilla Elizabeth Jennifer van den Bogaerde heißt, als Jugendliche mit ihrer Cover-Version von „People help the People“ berühmt wurde. Sie hatte sich die Ballade der Indieband Cherry Ghost zu eigen gemacht und landete damit einen Welthit. Ergreifende Balladen zählen immer noch zu ihren Stärken, auch wenn der Herzschmerz etwas in den Hintergrund gerückt ist. Im Kontrast zu den meisten Liedern auf ihrem neuen Album sind bei „Your Arms“ nur ihre warme Stimme und ein Klavier sowie gegen Ende ein paar sehr dezente Synthesizer zu hören.
Bei „I wish I was a Shooting Star“, „Battlefield“ und „Tears don’t fall“ sorgt ein detailreiches Klanggerüst für Atmosphäre. „Automatic“ ist hingegen sanfter Synthie-Pop. Fast jede Nummer eignet sich fürs Radio, ohne dass es auch nur annähernd so wirkt, als wäre das Absicht gewesen. „Portraits“ ist ein Pop-Album jenseits aller angesagter Trends, dafür aber voller Natürlichkeit.
Birdy:
„Portraits“ (Warner).