Russisches Roulette

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Steffen Kopetzkys historisches Roman-Wimmelbild „Damenopfer“

VON SIMONE DATTENBERGER

Eine russisch-deutsche, bolschewistische Journalistin („Hamburg auf den Barrikaden“), Revolutionärin, Botschaftergattin, ein bayerischer Ritter und Kabul vor 100 Jahren. Das ist eine haarsträubend unwahrscheinliche Kombination, die sich Steffen Kopetzky (Jahrgang 1971) für seinen historischen Roman „Damenopfer“ auserkoren hat. Er spielt zwischen Moskau, Berlin, Leipzig – und nimmt eben in Kabul seinen Ausgang.

Der Autor, der mit „Monschau“ und „Risiko“ Bestseller-Erfolg hatte, kann freilich darauf pochen, dass Larissa Reissner genauso authentisch ist wie der Offizier und Geograf Oskar Niedermayer (1885-1948), der in der letzten Phase der Wittelsbacher Monarchie geadelt wurde. Kein Wunder also, dass sich der in Pfaffenhofen an der Ilm beheimatete Schriftsteller bei seinen Quellen Taisia Vichnevskaia und Hans-Ulrich Seidt bedankt. Die Ukrainerin habe Kopetzky trotz des russischen Kriegs gegen ihre Heimat bei der Recherche tapfer unterstützt. Und von dem ehemaligen deutschen Botschafter in Afghanistan stamme das „Standardwerk“ zu Niedermayer.

Der Roman konzentriert sich auf die Jahre von 1923 bis 1926, als im Winter der frühe Tod Larissas (geboren 1895) bekanntgegeben wird. Kopetzky kombiniert detailverliebtes Erzählen inklusive wunderbarer Porträts wie das des Totengräbers oder des Moskauer Hotels Loskutnaja („Grandhotel zum Stofffetzen“) mit fiktiven Nachrufen unterschiedlicher Menschen auf Reissner: von Niedermayer über Regisseurin Asja Lacis bis Ho Chi Minh. Zu viel des Guten sind allerdings das „Drehbuch“ – ein US-Amerikaner will Larissas Leben à la Eisenstein verfilmen – und ein Protokoll von dem britischen Ausschuss, der die Gefahren für das eigene Imperium analysiert.

Der Schriftsteller will möglichst viele Facetten dieser Zeit der Umwälzungen möglichst unterhaltsam an die Leserschaft bringen. Das gelingt im Großen und Ganzen gut. Abenteuer, Geheimdienstflair, hochfliegende Träume (Freiheit für die Menschheit ohne nationale Fesseln), dezente Erotik, Familienbande zwischen Deutschland und der Sowjetunion – mit all dem schafft es Kopetzky, dass wohl auch geschichtlich weniger Interessierte das historische Wimmelbild akzeptieren werden. Andere werden diverse Entdeckungen genießen. Wir begegnen Berühmtheiten wie Mandelstam oder Gorki genauso wie Trotzki oder Anna Achmatowa. Selbst künstlerische wie politische Zielsetzungen, von denen man nie gehört hat, kommen in „Damenopfer“ vor. Kopetzky erzwingt die Vielschichtigkeit. Er verbietet sich Simplifizierung, urteilt nicht. Das macht das Buch wertvoll.

Und wenn der Autor diesen „unsäglichen strategischen Versager“ namens Stalin zunächst minimal, schließlich bei Larissas prunkvollem Begräbnis massiv durch seine Schergen ins Machtspiel bringt, wird klar: Das Damenopfer war umsonst. Die humanistische Seite des Kommunismus ist tot. Der sowjetische Imperialismus wird den britischen ablösen. Wir Heutigen wissen seit gut einem Jahr, dass die imperialistische Gier bleibt.

Steffen Kopetzky:

„Damenopfer“.

Rowohlt-Berlin Verlag, Berlin, 443 Seiten; 26 Euro. Lesung: Der Autor stellt seinen Roman am 10. Oktober, 19 Uhr, im Münchner Literaturhaus vor; Karten unter Telefon 0761/88 84 99 99.

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