Es dauert gerade mal eine Viertelstunde, bis der Erste die Gruppe verlässt. Absetztendenzen haben sich bereits zuvor angedeutet, durch kleine Variationen in den Bewegungsabläufen – dennoch blieben die sieben Tänzerinnen und Tänzer eine homogene Truppe, die Weite der Bühne auf der Perner-Insel erkundend. Bis eben zu Minute 15 von „Into the Hairy“, dieser dicht und dynamisch gewobenen Inszenierung der israelischen Choreografin Sharon Eyal und ihres Kollegen Gai Behar. Da schert dann einer aus, wagt ein Solo, sucht nach Individualität im Ausdruck – und mit einem Schlag ändert sich alles: Die Atmosphäre auf der Tanzfläche und der Sound werden schärfer, das Licht wechselt vom warmen Glimmen zum kalten Blau, während die anderen die Bewegungen des Einzelgängers erst kritisch beäugen, sich dann abwenden und ihn nach einiger Zeit doch wieder aufnehmen. Bis sich der Nächste herauslöst.
Salzburgs Festspiele haben mit „Into the Hairy“ den zeitgenössischen Tanz abendfüllend ins Programm geholt; am Donnerstag war Premiere dieser Koproduktion mit dem französischen Festival Montpellier Danse. Dort wurde die Arbeit des international gefeierten Duos Eyal/Behar und ihrer vor zehn Jahren gegründeten L-E-V Company im Juni uraufgeführt – in Hallein verknüpft sich die Produktion nun ästhetisch und musikalisch mit Ulrich Rasches Inszenierung von „Nathan der Weise“, die Ende Juli in der einstigen Sudhalle auf der Salzach-Insel herauskam (wir berichteten).
Die Performance erzählt in konzentrierten, intensiven 50 Minuten vom Werden und Wahnsinn des Daseins, vom Wüten und Vergehen aller Lebewesen. Der Beginn ist von simpler Schönheit. Noch im Dunkeln sind sachte Wassertropfen zu hören, sanfte, wohltuende Lichtstrahlen von oben bringen schließlich den Entwicklungsprozess in Gang, kitzeln eine neue Welt hervor: Das Ensemble, formiert zu einem organischen Gebilde, das an eine Blüte erinnert, dehnt und reckt und streckt sich den Leben spendenden Elementen entgegen. Wächst wie Schnittlauch – nur attraktiver.
So berührend diese Szene ist, so weit entfernt ist sie vom Kitsch. Zum einen sind da die hautengen Ganzkörperanzüge, die Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri für diesen Abend entworfen hat, und denen so gar nichts von Heititeiti anhaftet. Im Gegenteil. Die Kostüme betonen die Basis jeglicher Existenz: den Körper. Zum anderen hat Koreless die Musik für „Into the Hairy“ komponiert. Der Künstler, 1991 in Wales als Lewis Roberts geboren, ist derzeit eines der spannendsten Talente in Sachen experimenteller elektronischer Musik. Seine Sounds geben den Takt des Wachsens vor; dabei stampft nicht nur der Bass, sondern es flirrt und klirrt, klingelt und klimpert.
Es ist der ideale Klangteppich für Eyals Choreografie, die zwar mitunter klassisches Tanz-Repertoire zitiert, deren Fokus aber vor allem auf dem Ausstellen und Ausprobieren von Körpern im ansonsten leeren Raum liegt. Die stärksten Momente ergeben sich, wenn das Ensemble Bewegungsabläufe verlangsamt, entschleunigt und in ihre Einzelteile zerlegt, während Koreless’ Melodien ebenfalls immer weiter aufsplittern und zum jeweiligen Ton gerinnen.
Dramaturgisches Gerüst der Produktion, die von den Tänzerinnen und Tänzern mit enormer Energie und Prägnanz umgesetzt wird, ist nicht nur der Lebenszyklus, die Formen und das Fortkommen von Menschen, Tieren, Pflanzen, sondern „Into the Hairy“ dekliniert auch Emotionen, die wir alle kennen. Das gibt dem Abend, für den Alon Cohen seinem stimmigen Lichtkonzept ein paar Lux mehr hätte gönnen dürfen, oft enorme Wucht. Diese Schwere findet jedoch ihre Auflösung in schwebend leichten Schrittfolgen der Freiheit und Liebe, derweil auf der Tonspur eine bestens aufgelegte Flamenco-Gitarre jubiliert.
Die vereinzelten, aber hartnäckigen Buh-Rufe werden bei der Premiere im Jubel der Mehrheit begraben.
Weitere Vorstellungen
am 19. und 20. August; Telefon 0043/662/8045-500.