Hefte raus, Klassenarbeit!

von Redaktion

PREMIERE Jorinde Dröse inszenierte für die Salzburger Festspiele „Die Wut, die bleibt“

Das war nichts. Diese bittere Erkenntnis wiegt umso schwerer, weil das Thema derart wichtig ist. Denn es geht um unser Miteinander, ums (gute) Leben. Und doch verschenkt Regisseurin Jorinde Dröse in dieser letzten Schauspielproduktion des Salzburger Sommers all die Wucht, die in Mareike Fallwickls „Die Wut, die bleibt“ steckt.

Sie bebildert im Landestheater über weite Strecken lediglich den Roman der 1983 in Hallein geborenen Schriftstellerin, lässt ihn brav vom Blatt spielen. Ein eigener Zugriff, eine Interpretation des Stoffes mit den Mitteln des Schauspiels fehlen. Theater kann aber mehr, muss auch mehr können und bieten, wenn es Prosa für die Bühne adaptiert.

Am Freitag war die Uraufführung der zweistündigen Inszenierung, die als Koproduktion der Festspiele mit dem Schauspiel Hannover entstanden ist. In Niedersachsen ist am 10. September Premiere.

Das Buch ist im vergangenen Jahr bei Rowohlt erschienen, inzwischen liegt die sechste Auflage vor. Die Begeisterung ist berechtigt: Fallwickl erzählt von einer Patchworkfamilie, die zu kollabieren droht, als sich die Mutter scheinbar grundlos in den Tod stürzt. In der Folge arbeitet die Autorin heraus, wie Frauen zwischen Nachwuchs, Partner, Job und eigenen Bedürfnissen zerrieben werden: Sarah, die beste Freundin der verstorbenen Helene, übernimmt die Sorge für die drei Kinder; Witwer Johannes bleibt derweil in seiner Komfortzone, dem Beruf.

Um diesen Grundkonflikt gruppiert die Österreicherin weitere, um die auf vielerlei Ebenen perversen Mechanismen einer von Männern dominierten Gesellschaft aufzuzeigen. Zwar sind manche Figuren etwas papiern geraten; vor allem die 15-jährige pubertierende Lola ist mitunter arg reflektiert und theoriefest. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass „Die Wut, die bleibt“ ein aufklärerisches, dennoch mitreißend und auf den Punkt geschriebenes Buch ist, dessen Lektüre unterhält und berührt.

Kaum etwas davon jedoch nun in der Bühnenfassung, die Dröse gemeinsam mit ihrer Dramaturgin Johanna Vater erarbeitet hat. Fallwickls Emotionalität, die Brutalität, aber auch die Empathie, mit der sie erzählt, ihr lässiger, stellenweise herrlich schnoddriger Stil – all das bleibt in der Inszenierung zu häufig auf der Strecke.

Den größten Eingriff, den sich Dröse/Vater erlauben, ist, dass sie das letzte Kapitel an den Anfang stellen. Darin wird das Dilemma ihrer Adaption offensichtlich. Hier wird nämlich von der Liebe erzählt, vom Glück nach der Geburt, vom Versprechen, das eine Mutter ihrem Kind gibt: „Wir werden das gut machen, denkt sie, wir beide. Du wirst ein Teil von mir sein, immer, ich werde dich schützen.“ Freilich, chronologisch korrekt gehört das an den Beginn. Fallwickl packt diese Szene aber ans Ende, nachdem wir miterleben mussten, wie Helene das, was sie ihrer Lola im Wochenbett gesagt hat, eben nicht halten konnte – und knallt uns so vor den Latz, wie es ist, zwischen Mama und Tochter, bevor es raus in die Gesellschaft geht. Und: wie es weiterhin sein sollte, wenn es gerecht zugehen würde. Diese Wut bleibt tatsächlich: beim Leser, nach der Lektüre. Natürlich ist das Buch oft thesenhaft, doch wird das umströmt von einem starken Erzählfluss. Dadurch dass Dröse, die in München bereits am Volkstheater und an den Kammerspielen gearbeitet hat, die Vorlage eindampfen musste, konzentriert sie sich auf Kernaussagen, ohne diese jedoch dramaturgisch einzubetten. Ihre Inszenierung wirkt dann wie Volkshochschule. Hefte raus, Klassenarbeit!

Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Tatsache, dass das Ensemble deutlich unter Festspiel-Niveau bleibt. Mit zwei Ausnahmen: Johanna Bantzer als Helene und Anja Herden, die Sarah verkörpert, beeindrucken, weil es ihnen gelingt, echte Menschen zu formen, die Interesse wecken. Weil sie spielen und nichts aufsagen. Ihre Szenen sind die Höhepunkte des Abends; die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler stellen aus und führen vor. Ihr Agieren ist bloße Behauptung, oft schlecht gesprochen obendrein.

Salzburgs scheidende Schauspielchefin Bettina Hering hat heuer gezeigt, wie aktuell Theater auf relevante Debatten reagieren kann: Da ging es um den Umgang mit Fremden („Nathan der Weise“), um die Mutterrolle („Der kaukasische Kreidekreis“) und ums würdevolle Sterben („Liebe“). Dringend und ganz unbedingt müssen auch die Fragen nach unbezahlter Fürsorgearbeit in den Familien, nach dem Frauenbild und danach, wie wir leben wollen, wenn das Patriarchat endlich überwunden ist, diskutiert und beantwortet werden. Auch auf der Bühne. Aber das hier war leider nichts.

Dennoch reißt’s das Publikum im Landestheater, kaum ist der letzte Satz gesagt, von den Sitzen. Heftiger Jubel und Standing Ovations.

Weitere Vorstellungen

am 21., 23., 24., 25., 28. und 29. August; Telefon 0043/662 8045 500.

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