Was kann ein Jazzfestival leisten, wenn es Traditionslinien kritisch reflektieren, vor allem aber Optionen für nachhaltige Weiterentwicklungen dieser Musik aufzeigen will? Am besten, man macht es wie in Saalfelden und engagiert als Schluss-Act das Quintett von Trompeter Dave Douglas. Dessen atemberaubende Dekonstruktion und quasi-kubistische Neuzusammensetzung von 75 Jahren Modern Jazz-Geschichte lieferte die Quintessenz einer im deutschsprachigen Raum singulären Veranstaltung, die auch im 43. Jahr deutlich mehr Höhe- als Tiefpunkte zu bieten hatte.
Beeindruckend etwa, wie Komponist Ralph Mothwurf für sein 17-köpfiges Orchester Elemente aus Bigband-Historie, Zappa und Zweiter Wiener Schule zu einem aromareichen Klang-Cuvée verschnitt. Bemerkenswert auch, wie es Bassist Lukas Kranzelbinder bei der Weltpremiere eines Quartetts mit Drummer Billy Martin sowie den Saxofonistinnen Zoh Amba und Anna Högberg gelang, atonale Energie-Eruptionen mit hypnotischen Groove-Strukturen zu versöhnen. Mit ihren eigenen eingespielten Ensembles überzeugten im Vergleich die Damen jedenfalls nicht ganz (Högberg) beziehungsweise nicht annähernd (Amba).
Ebenfalls eine Sternstunde war eine weitere Uraufführung, das in intuitiver Kommunikation ein breites Dynamikspektrum auslotende Duo von Pianistin Myra Melford und Schlagzeuger Hamid Drake. Dieser gestaltete auch ein faszinierendes Sound-Ritual mit Michiyo Yagi, die ihre beiden Kotos, 17- und 21-saitige Wölbbrettzithern, von archaisch-minimalistisch bis exzessiv-berserkend bearbeitete. Der neben Yagi zweite Artist in Residence, Andreas Schaerer, konnte, zumindest im Hauptprogramm, weniger punkten, weil sein arg braves Song-Projekt „Evolution“ seine außergewöhnlichen stimmlichen Fähigkeiten nicht annähernd ausschöpfte.
Dagegen sorgte der argentinische Tastenwirbelwind Leo Genovese mit einem furiosen Trio-Konzert ebenso für Frischluftzufuhr wie das Berliner Quartett Rokc Music mit der wilden Mischung aus Rhythmus-Tricksereien, hakeligen Gitarren und leidenschaftlich singendem Saxofon. So blieb nur eine Frage offen: Wie konnte das unbekannte australische Trio Brekky Boy ins Hauptprogramm gelangen? Dessen langweilige Fahrstuhlmusik wirkte im ansonsten experimentierfreudigen, hochkarätigen Kontext, als hätte man einem abstiegsgefährdeten Zweitligisten eine Wild Card für die Champions League erteilt.