Lolas Freund ruft aus einer Telefonzelle an, weil er 100 000 Mark verloren hat, die eigentlich dem Autoschieber Ronnie gehören. Gleich will der Ganove die Kohle sehen, sonst droht Manni die Müllkippe. Lolas Lover fleht „Hilf mir“, sonst überfalle er um Punkt Zwölf einen Supermarkt. „Du wartest“, schreit Lola resolut und rennt los. Das Geld besorgen, ihre Liebe retten, in nur 20 Minuten.
Das – rasant in drei Varianten erzählt – ist die Handlung von „Lola rennt“. Der Film von Tom Tykwer mit viel Tempo und Techno wurde vor 25 Jahren (Kinostart war im August 1998) zum Kultfilm, beeindruckte auch Hollywood und prägte global das Bild vom coolen Berlin.
Ein Vierteljahrhundert später ist der experimentierfreudige Film trotz modernen Anscheins irgendwie aus der Zeit gefallen. D-Mark? Telefonzelle? Die ganze Dramatik von „Lola rennt“ ist an die Neunzigerjahre gebunden. Heute hätte Manni nicht erst eine Telefonzelle suchen müssen, um Lola sein Dilemma zu schildern. Er hätte sie wohl mit dem Handy schon viel früher angerufen oder angetextet.
Und wahrscheinlich wäre das alles gar nicht passiert, weil er mit so viel Geld in der Tüte nicht die U-Bahn genommen hätte, in der er die Summe verlor, sondern per App ein Taxi bestellt hätte.
„Ein großer Teil der Filme aus dem letzten Jahrhundert müsste wegen der Erfindung des Smartphones neu erzählt werden – wenn es nur auf die Geschichte ankäme“, sagt Regisseur Tom Tykwer. Doch davon hänge es nicht ab, ob ein Film gut oder schlecht altere. „Gute Filme schöpfen ihre Kraft nicht aus dem Plot allein, sondern aus der Schönheit ihrer Konstruktion, einer bestimmten Atmosphäre, einer Energie, manchmal auch einer außergewöhnlichen Performance.“
Der 58-Jährige erläutert: „Die wichtigsten Filme sind wie Vertraute oder Freunde, die uns durchs Leben begleiten. Manche verlieren wir über die Jahre aus den Augen, und plötzlich haben sie uns nichts mehr zu sagen. Zu anderen halten wir für immer eine Verbindung. Und ab und zu entdeckt man auch Perlen der Vergangenheit wieder, und verliebt sich neu.“
Tykwers gesteht, dass er sich seine Filme nicht mehr anschaue, wenn er sie hinter sich gelassen habe. Zum Jubiläum von „Lola rennt“ habe er aber einen neuen Blick darauf geworfen. „Ich fand ihn ganz schön frisch für sein Alter. Und ich dachte, ich war wirklich ein anderer Typ damals, so einen Film könnte ich nicht machen heute. Ein interessantes Gefühl.“
Bei „Lola rennt“ regen sich bis heute manche Berlin-Kenner über Lolas Laufstrecke auf: Dieser Kurs sei keinesfalls in der behaupteten Zeit abzulaufen, kritisieren sie. Zu sehen ist zum Beispiel die Oberbaumbrücke über die Spree zwischen Kreuzberg und Friedrichshain. Der Supermarkt ist dagegen ein früherer Bolle-Markt in Charlottenburg, und er liegt etwa elf Kilometer entfernt.
Dazu sagt Tykwer nur gelassen: „Filmfehler sind so schön, ich liebe sie. Sie erinnern auf so freundliche Weise daran, dass es nicht um Perfektion geht. Das Leben ist ja auch nicht perfekt, warum soll es dann die Kunst sein? Hauptsache wahrhaftig.“
Tykwer ist einer der Autoren und Regisseure der Krimifernsehserie „Babylon Berlin“. Die vierte Staffel ist ab 29. September in der ARD-Mediathek zu sehen, im linearen Fernsehen ab 1. Oktober. Derzeit arbeitet er erstmals seit „Ein Hologramm für den König“ (2016) wieder an einem Kinofilm. Darin spielen Lars Eidinger und Nicolette Krebitz ein Paar, dessen Familie sich durch die Aufnahme einer syrischen Immigrantin als Haushälterin neu findet.
Der in Wuppertal geborene Tykwer hat seine Begeisterung für die deutsche Hauptstadt nicht verloren: „Wir haben gerade für meinen neuen Film „Das Licht“ die ganze Stadt nach Locations abgesucht. Und mein Eindruck war: Berlin bleibt, wie es immer war – chaotisch und traumhaft, potthässlich und wunderschön. Niemals fertig. Toll.“