Leslie Mandoki zu interviewen ist nicht schwierig – es ist unmöglich. Unaufhörlich sprudelt es aus dem 70-Jährigen heraus, man kommt kaum dazu, Fragen zu stellen. Erst als es im Gespräch um Politik und Freiheit geht, nimmt sich Mandoki Pausen und formuliert sehr genau. Der Musiker, der einst aus dem damals kommunistischen Ungarn flüchtete, ist dann auf einmal ein sehr nachdenklicher Mann, der trotzdem nicht fatalistisch wird. Alles ist möglich und es kann immer gut werden – diese Einstellung scheint bei ihm in jeder Antwort durch. Kein Wunder, dass sie in Amerika so große Stücke auf ihn halten. Am 3. September gastiert er mit den Mandoki Soulmates und Peter Maffay im Circus Krone. Beginn ist um 20 Uhr. Karten gibt es an allen Vorverkaufsstellen.
Wenn man ehrlich ist – Progrock und Jazzfusion sind nicht die allerpopulärsten Musikströmungen der Popgeschichte. Woher rührt Ihre Begeisterung für diese Musik, die Sie seit 30 Jahren mit den Soulmates aufführen?
Michail Gorbatschow hat es einmal meinen Bandkollegen sehr schön erklärt: Das war im Ostblock die Musik der Freiheit. Das war die Musik des Studentenprotestes, des Widerstands gegen die Staatsgewalt, gegen althergebrachte Denkweisen. Es war für uns auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs der Soundtrack der Freiheit. Die kommunistischen Machthaber haben das sehr genau verstanden. Deswegen war diese Musik im Osten verboten, die Platten waren Schmuggelware, für junge Menschen in den Sechzigern und Siebzigern also der Inbegriff der Rebellion gegen das Regime. Es war immens wichtig, dass Gorbatschow gleich zu Beginn seiner Amtszeit in der Sowjetunion eine Platte von Jethro Tull hat veröffentlichen lassen, als Beweis, dass er es mit seinen Reformen ernst meint.
Wie haben Sie es geschafft, vor 30 Jahren diverse Weltstars dazu zu überreden, bei Ihrem Projekt mitzumachen?
Ich habe mir in New York als Musiker erst einmal Aufmerksamkeit erspielt. „Let the Music do the talking“, sagt man in den USA. Ich hatte dann verschiedene Positionen in verschiedenen Studios und bin verschiedenen Musikern begegnet, die ich gut finde, unter anderem Ian Anderson von Jethro Tull, der mich als Jugendlicher intellektuell und emotional geformt hat. Das habe ich ihm erzählt und Lieder gezeigt, die ich geschrieben hatte. So war das auch mit Jack Bruce und Bobby Kimball und all den anderen. Denen hat gefallen, was ich angeboten habe. Irgendwann standen wir dann im Studio und haben das erste Soulmates-Album aufgenommen – vor 30 Jahren.
Würden Sie sagen, dass das Publikum im Vergleich zu Ihren Anfängen handwerkliches Können wieder mehr schätzt?
In der Musik spielt die Balance zwischen Form und Inhalt eine entscheidende Rolle. Wenn die Menschen heute wieder zu den großen Könnern in die Konzerte strömen, dann, weil da diese Balance stimmt. Inhaltlich stehen diese Musiker für eine Generation von unangepassten Rebellen, die eine Botschaft haben. Die haben was zu sagen. Und in diesen Zeiten, in denen die Welt ohne Kompass unterwegs ist, gibt Musik eine Antwort, dort, wo bloße Worte versagen. Die Soulmates sind handgeschriebene Briefe an ihr Publikum, mit Füller auf Papier geschrieben.
Dabei sind Sie in den Siebzigern als junger Musiker erst mal bei Dschingis Khan gelandet.
Es freut mich, wenn diese Lieder den Menschen immer noch Freude bereiten, für mich war es nur ein begrenzter Zeitraum. Ich hätte es vielleicht mehr genießen sollen, aber ich wollte mein Studio, meine Musik. Stellen Sie sich einen jungen idealistischen Musiker aus Osteuropa vor, der die Welt verändern will und dann im totalen Kommerz landet. Manager Monti Lüftner sagte mir damals: „Bub, das machst du jetzt, danach bringe ich dich nach New York und da kannst du zeigen, was du kannst.“ Er hat Wort gehalten.
Sie haben 1975 sehr viel riskiert, um aus der Diktatur im kommunistischen Ungarn nach Deutschland fliehen zu können. Heute sind Sie irritiert, dass von einigen hier behauptet wird, wir würden in Wahrheit in Unfreiheit leben.
Ich bin erschüttert, wenn ich das höre. Ich bin stolzer Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland und ich verstehe solche Verschwörungstheorien nicht. Ich glaube an mein Deutschlandbild – an ein freiheitsliebendes Land, das Hasardeure ablehnt. Wir müssen deutlicher widersprechen. Gerade in der Mitte der Gesellschaft. Ich glaube nicht an Cancel Culture, ich glaube an den Diskurs. Und ich gehe breitbeinig mit meinem Wertekanon in diesen Diskurs, davor darf man keine Angst haben. Die freiheitliche, pluralistische Demokratie ist das überlegene System, autoritäre Gedanken liefern keine Lösungen. Man muss es aber immer wieder erklären. Ich weigere mich zuzusehen, wie ein Teil dieses Landes, das ich so sehr liebe, abdriftet.
Was kann man also tun?
Richtige Schwerpunkte setzen. Man hat uns hier erzählt, dass Investmentbanker systemrelevant sind. Wir haben die Gier salonfähig gemacht. Aber das ist falsch, Gier ist nicht systemrelevant. Krankenschwestern sind systemrelevant, und das müssen wir verstehen. Findet eine Krankenschwester, die einen Feuerwehrmann heiratet, eine Wohnung in München? Eher nicht. Aber diese Menschen brauchen wir doch. Um die muss man sich Gedanken machen.
Politik scheint Sie wirklich umzutreiben.
Wenn ich im Circus Krone auftrete, feiern wir nicht nur 30 Jahre Soulmates. Für mich geht es um mehr. Ich bin hier als illegaler Flüchtling, als langhaariger Musiker aufgenommen worden. Ich habe eine Chance bekommen, dafür bin ich sehr dankbar. Ich konnte mir hier ein Leben aufbauen. Und jedes Konzert in meiner Heimatstadt München ist für mich die Gelegenheit, Danke zu sagen. Ich bin all diesen Menschen dankbar, dass sie mich damals nicht wie einen Aussätzigen behandelt haben.
Sie sahen schon ziemlich wild aus damals.
In Ungarn hat die kommunistische Partei bis zum Abitur bestimmt, wie kurz meine Haare sein mussten. Deswegen habe ich sie danach wachsen lassen und nie wieder kurz geschnitten. Das ist auch Freiheit.
Das Gespräch führte Zoran Gojic.