Gut geschlagen

von Redaktion

SALZBURG Die konzertante Aufführung von „Les Troyens“ gelingt ohne John Eliot Gardiner

VON TOBIAS HELL

Wenn es vor einer Premiere im Blätterwald rauscht und die Sozialen Medien brummen, ist dies nicht immer ein gutes Zeichen. Und wahrscheinlich hätten sich die Salzburger Festspiele für ihre konzertante Aufführung von „Les Troyens“ lieber andere Schlagzeilen gewünscht als die Kommentare über den auf offener Bühne Ohrfeigen verteilenden Sir John Eliot Gardiner. Ein Vorfall, der natürlich Konsequenzen haben musste und den Maestro zwang, sich gesenkten Hauptes von den verbleibenden Konzerten der aktuellen Tournee mit dem Monteverdi Choir und dem Orchestre Révolutionaire et Romantique zurückzuziehen (wir berichteten).

Für ihn rückte am Pult nun der portugiesische Dirigent Dinis Sousa nach, der den beiden von Gardiner gegründeten Klangkörpern bereits seit Längerem verbunden ist und als Assistent an der Einstudierung dieses Berlioz-Mammut-Projekts beteiligt war. Künstlerische Kontinuität und Vertrautheit mit dem Ensemble waren somit gewährleistet. Daran ließ auch das Orchester keinen Zweifel, das bei Sousas erstem Erscheinen lautstark in den Applaus des Publikums einstimmte und so seinen Rückhalt signalisierte. Die Enttäuschung über das unrühmliche Ausscheiden des angekündigten Stars war so schnell vergessen und endlich Zeit, sich auf die musikalische Seite des rund fünfstündigen Abends zu konzentrieren. Auf Berlioz in transparentem Originalklang, der in konzertanter Form reichlich Gelegenheit bot, um ohne szenische Ablenkung den Feinheiten der delikat instrumentierten Partitur nachzuspüren und mithilfe der historischen Instrumente neue Klangfarben zu entdecken.

Machtvoll dröhnend in den großen Chorbildern und ähnlich effektvoll in der exotisch angehauchten Ballettmusik. Aber eben auch mit der gebotenen Zurückhaltung, wenn Dido und Aeneas im zweiten Teil ihr berühmtes Liebesduett anstimmen durften. Eine überzeugende Gratwanderung zwischen den Markenzeichen der französischen Grand Opéra und der von Berlioz ursprünglich gewählten Gattungsbezeichnung „Poème Lyrique“.

Ganz im Geiste John Eliot Gardiners setzte auch Dinis Sousa überwiegend auf straffe Tempi, wusste aber dennoch flexibel auf seine Sängerinnen und Sänger einzugehen. Wobei das Hauptinteresse natürlich auf Michael Spyres ruhte, der zuletzt in München in Händels „Semele“ reüssierte. Als Énée waren nun die dramatischen Facetten seines Tenors gefordert. Wobei Spyres nach seinem heroischen Auftritt im Schatten des Trojanischen Pferdes auch diesmal vor allem als geschmeidig singender Liebhaber überzeugte, bevor er im Schlussakt überraschenderweise ein wenig mit der Höhe zu kämpfen hatte. Was der Abendverfassung geschuldet sein mochte und den mehr als positiven Gesamteindruck nicht schmälerte.

Ihm zur Seite stand mit Paula Murrihy eine Didon von königlicher Noblesse, die zunächst das Bild einer rational kühlen Regentin zeichnete und erst langsam aufzutauen schien. Aus der Reserve gelockt wurde sie vor allem durch Beth Taylor, die als Didons Schwester Anna einen sonoren wie biegsamen Alt hören ließ, der Murrihys hell timbrierten Sopran ideal ergänzte.

Und selbst in der sonst gern aus dem dramatischen Fach besetzten Rolle der Cassandre war mit Alice Coote eine Stimme mit lyrischer Vergangenheit aufgeboten. Was die Partie von Klischees befreite und es der Mezzosopranistin erlaubte, ein weitaus verletzlicheres und damit menschlicheres Porträt der Seherin zu zeichnen. Im besten Sinne routiniert der fein artikulierte Chorèbe von Bariton Lionel Lhote, der sich dem griechischen Pathos ebenso verweigerte. Wobei vor allem diesem Duo zugutekam, dass in dieser Aufführung zwar ohne Bühnenbild und Kostüm, aber eben auch ohne Noten gesungen wurde und so szenische Interaktion zwischen den Charakteren möglich wurde. Und in diesem Kontext muss neben dem schwarz orgelnden Narbal von Williams Thomas unbedingt noch Laurence Kilsby erwähnt werden, der nicht nur darstellerische Präsenz zeigte, sondern seinen klar geführten Tenor als Iopas und Hylas gleich in zwei Rollen auf jeweils individuelle Weise strahlen ließ.

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