Wilder Endspurt

von Redaktion

Der zweite Abend der Berliner Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen

VON TOBIAS HELL

Wer rein kulinarische Programme sucht, ist bei Kirill Petrenko fehl am Platz. Das war schon in seinen Münchner Tagen als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper so und hat sich nach dem Umzug in die Bundeshauptstadt nicht groß geändert. Und daher waren selbstverständlich auch seine beiden Konzerte, die er mit den Berliner Philharmonikern zum Salzburger Festspiel-Endspurt absolvierte, keineswegs isoliert voneinander zu betrachten, sondern inhaltlich eng miteinander verwoben.

Nachdem schon der erste Abend im Großen Festspielhaus mit Regers „Mozart-Variationen“ begonnen hatte (wir berichteten), standen am Beginn der zweiten Runde erneut Werke, die als ehrfurchtsvolle Hommage an große Vorgänger entstanden. Der erste davon war Joseph Haydn – selbst wenn inzwischen begründete Zweifel angemeldet werden dürfen, ob das Divertimento, aus dem Johannes Brahms das Thema für seine Variationen op. 56a entlehnte, nun tatsächlich aus der Feder von Haydn stammt.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf war offenbar auch Petrenkos Interpretation weniger durch Bezüge zum vermeintlichen Original geprägt. Stattdessen bekam seine Lesart teilweise einen eher slawisch anmutenden Einschlag, der die Partitur fast schon in Richtung Dvořáks rückte. Sehr bestimmt und kraftvoll bei der Vorstellung des Choral-Themas und im weiteren Verlauf stets auf Zug gehalten.

Vor allem die ersten Variationen schienen dabei als große aufeinander aufbauende Einheit gedacht, ehe die Zäsuren allmählich größer wurden und nach der zum emotionalen Wendepunkt erklärten Nummer sieben jeweils kurz Zeit zur Neuorientierung gaben.

Ähnlich durchdacht die Pausendramaturgie der danach folgenden Orchestervariationen op. 31 von Arnold Schönberg, deren Komplexität für einen detailverliebten Denker wie Kirill Petrenko natürlich ein gefundenes Fressen darstellte. Und dies nicht nur, wenn es um das Herausarbeiten der als rahmendes Motiv dienenden Notenfolge B-A-C-H ging. Mit scharfem Blick durchleuchtete er das großformatig instrumentierte Werk und setzte nicht nur in den kammermusikalischen Momenten auf ein transparentes Klangbild, das immer wieder ausgewählte Instrumente und Orchestergruppen in den Fokus rückte.

Dass selbst ein Kontrollfreak wie Petrenko die Sache aber auch einfach mal laufen lassen kann, bewies schließlich Beethovens Achte. Sicher, auch hier baute der Dirigent ein festes Gerüst. Doch eines, in dessen Grenzen sich gut tänzeln ließ. Da wurde dann der eine oder andere Einsatz tatsächlich mal nur durch ein entspanntes Schulterzucken gegeben. Oder mit einem freundlichen Blinzeln, das sich angesichts der vitalen Spielfreude in den Geigen nicht nur bei Petrenko zu einem breiten Grinsen weitete.

Von Satz zu Satz schien man sich so gegenseitig immer weiter hochzuschaukeln, ehe die durchwegs mit sportlichen Tempi angegangene Symphonie in einem wild taumelnden Finale mündete, das dennoch stets fest in der Spur blieb. Am Ende tosender Jubel für das Orchester und seinen Chefdirigenten, deren Rückkehr zu den Salzburger Osterfestspielen ab 2026 nach diesen begeisternden Auftritten nur noch mehr entgegenfiebern dürfte.

Gefundenes Fressen für detailverliebten

Dirigenten-Denker

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