Ein ewiges Ringen

von Redaktion

AUSSTELLUNG Die Staatliche Graphische Sammlung zeigt Baselitz’ Probedrucke

VON KATJA KRAFT

Michael Hering kann Gedanken lesen. „Sie fragen sich wahrscheinlich, was das soll. Man steht hier in irgendetwas ganz Seltsamem drin. Man steht in deutscher Geschichte.“ Tatsächlich ist da zunächst: komplette Überforderung. 148 Probedrucke hängen in der Staatlichen Graphischen Sammlung. Wortfetzen, Bilderfetzen, Gedankenfetzen auf Papier. „Schwein / ein sein / Schwein / ein sein“ oder „Fisch sein / Orient wo“ oder „sein Lied / vielleicht / oh ach“. Er wisse nicht, wie Herzog Franz einst darauf gekommen sei, sich das anzutun, meint Sammlungsleiter Hering trocken. Denn in der Tat ist es dem Wittelsbacher zu verdanken, dass das grafische Hauptwerk von Georg Baselitz nun Teil der Sammlung ist. Er hat 2013 mit der Unterstützung einer Gruppe von Förderern die umfangreiche Suite der Probedrucke zu Baselitz’ Künstlerbuch „Malelade“ von 1990 für das Haus erworben. Und so sei diese Ausstellung „unser Dankeschön für Herzog Franz’ unentwegtes Engagement für die zeitgenössische Kunst in Bayern“, betont Hering beim gestrigen Presserundgang.

Es ist keine leichte Kost, die einen im Erdgeschoss der Pinakothek der Moderne erwartet. Wer sich aber darauf einlässt, wer Herz und Hirn öffnet, der wandelt durch ein deutsches Geschichtsbuch. Im lesenswerten Interview zwischen Sammlungsleiter und Künstler, das im Katalog (Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln) abgedruckt ist, werden einige Bilder enträtselt. Und wird deutlich, wie intensiv Baselitz in „Malelade“ deutsche Geschichte reflektiert. „In unserer Geschichte im 20. Jahrhundert existiert ein Kulturbruch, der so vehement war und ist, dass er eigentlich gar nicht mehr zu reparieren ist“, sagt er. Dieser Bruch, er wirkt weiter nach. Und damit sind diese Werke, die Krieg, Zerstörung, Heimatlosigkeit, innere Zerrissenheit, Schuld verarbeiten, auch Teil der Geschichte später geborener Betrachter, weil die immer vom vorher Gewesenen geprägt ist – ob man es will oder nicht. Die einzelnen Wörter und abgehackten Sätze sind sinnbildlich dafür, wie eine ganze Nation aus der Sprachlosigkeit herausfinden möchte.

Das Ringen um Worte spiegelt sich auch in der Hängung der Arbeiten wider. Denn das ist das Besondere an dieser Schau: Durch die unterschiedlichen Blätter aus verschiedenen Schaffensphasen kann man nachvollziehen, wie der Künstler sich motivisch, technisch, koloristisch dem endgültigen Werk näherte. Wie er verworfen hat, dazugegeben, wieder reduziert. Wie sich Motive wiederholen und weiterentwickeln. „Sie können hier eine intime Druckwerkstatt schauend erleben“, schwärmt Hering. Ein künstlerisches „Gemütstagebuch“, das vieles offen lässt – die Leerstellen füllt die eigene Fantasie.

Bis 22. Oktober

in der Staatlichen Graphischen Sammlung, Pinakothek der Moderne; täglich (außer montags) 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.

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