Schlagzeuger, Produzent, Komponist, Label- und Studiobetreiber – Curt Cress war schon immer ein sehr beschäftigter Musiker. Jetzt ist die Drum-Legende auch mit einer Gesprächsreihe unterwegs. Sein „Drumtalk“ erreicht am 10. September das Münchner Lustspielhaus. Da erzählt Cresss aus dem Nähkästchen und lässt ein halbes Jahrhundert Musik Revue passieren. Der Abend ist bereits ausverkauft. Ein Besuch in seinem Pullacher Haus.
Wie ist die Show „Drumtalk“ entstanden?
Werner Fromm, mein Schulfreund und guter Schlagzeuger, hat mich mal gefragt, ob ich in einem Musikshop einen „Drumtalk“ mit ihm machen will. Da waren so 100 Schlagzeuger, und es war sehr lustig. Dann fragte ein Club in Hanau, in dem ich mit der Band Orange Peel oft gespielt habe, an. Danach rief ein Theater in Frankfurt an. Da wurde es dann schon professioneller. Ich zeigte Videos, spielte Originalmusik, und manche Dinge erklärte ich am Schlagzeug. Als es um Rio Reisers „König von Deutschland“ ging, standen plötzlich alle auf und sangen mit. Bei „Ich war noch niemals in New York“ ebenso, alles Songs, die ich mit eingespielt oder produziert habe. Es geht also um fünf Jahrzehnte eines Schlagzeugers.
Sie waren von jung auf sehr gefragt und haben bei unzähligen Produktionen auf der ganzen Welt mitgewirkt. Beziehungen oder Zufall?
Mich hat damals Dieter Dierks, Produzent unter anderem der Scorpions, mit der Band Orange Peel aufgenommen. Wir haben damals schon Jazzrock gemacht, da gab es diesen Begriff noch gar nicht. Dieter Dierks hat mich einfach für Studioproduktionen gebucht. Bei vielen der damaligen Bands in Deutschland waren die Schlagzeuger oft nicht in der Lage, ihre Songs im Studio einzuspielen. Da war ich 15, 16 Jahre alt und habe zwei, drei Jahre lang für 50 Mark am Tag quasi mit dem Kopfkissen in der Bassdrum geschlafen. Ich habe das geliebt. Das war auch eine gute Schule. Und dabei lernte ich immer mehr Produzenten kennen.
Die stilistische Bandbreite Ihrer Produktionen ist beeindruckend.
Das kam automatisch. Da sitzt du plötzlich im Studio und sollst Nicki spielen. Bei „Bayerisches Cowgirl“ musst du dann auch dieses Texas-mäßige Hillbilly-Ding spielen. Das hatte ich noch nie gemacht. Am nächsten Tag habe ich für Freddie Mercury gespielt. Die größte Diskrepanz war, an einem Tag „No tengo dinero“ mit Righeira einzuspielen und am nächstenmit Doro Pesch und Warlock zu arbeiten.
Hätte für Sie auch die Option gegolten, einfach nur mit einer Band berühmt zu werden?
Das wäre vielleicht einfacher gewesen. Als junger Mensch wollte man ja auch wie die Beatles und Stones sein. Auf der anderen Seite bin ich sehr dankbar dafür, an einem Tag für Udo Jürgens zu spielen, mit Harold Faltermeier zu arbeiten, am nächsten Tag mit Mercury, Meat Loaf oder Saga.
Sie haben ja auch nicht nur Schlagzeug gespielt…
Ich wollte auch eine andere Welt kennenlernen, habe Studios gegründet, einen Verlag, eine Plattenfirma, habe Musik produziert. Ich bin jetzt 71 Jahre alt. Stellen Sie sich vor, ich müsste jetzt noch davon leben, im Studio oder auf Tour zu sein. Bis 40 kann man das als sogenannter Mietmusiker ja machen, aber ich wollte auch bestimmen können, wie etwas zu klingen hat.
Eine Ihrer ersten großen Stationen war bei Klaus Doldingers Passport. Sie haben in den Siebzigern den Schlagzeugerposten von Udo Lindenberg übernommen. Wie kam es dazu?
Udo Lindenberg war der erste Schlagzeuger bei Passport. Als ich dieses Album damals hörte, dachte ich, das ist der beste Drummer, den ich hier in der Gegend kenne. Dann ist Udo gegangen, und es kam ein englischer Schlagzeuger zu Passport. Zur gleichen Zeit bin ich mit Frank Diez nach Hamburg, um mit Inga Rumpf und Jean Jcaques Kravetz Atlantis zu gründen. Da war ich 19. Ich wurde eingeladen zu einem Konzert mit lauter Jazz-Drummern, darunter Joe Nay, im Domicile in München. Dort hörte mich Wolfgang Schmid. Der wiederum sagte zu Klaus Doldinger, der Cress passt zu uns. Ich habe also bei Atlantis gekündigt. Als ich mich auf den Weg von Hamburg nach München mache, kommt ein Typ in einem alten Renault 4 mit einem Schlagzeug an. Das war Udo Lindenberg. Der steigt aus, sagt „Hallo Curti“ und drückt mir sein Album „Daumen im Wind“ in die Hand. Ich habe ihm den Schlüssel für mein Zimmer im Atlantis-Haus gegeben. Und so war er eben in Hamburg bei Atlantis und ich in München bei Passport mit Klaus Doldinger.
Hätten Sie nicht auch einmal bei Ike und Tina Turner spielen sollen?
Mich rief Dieter Dierks an, da war ich 21. Ike und Tina Turner säßen gerade bei ihm im Studio, ich solle vorbeischauen. Ike grüßte nicht einmal, sagte nur „Play“. Also spielte ich zu „Baby get it on“. Und dann sagt Ike: „You have to join the band.“ Ich wollte aber nicht, denn ich war gerade mit Passport auf dem Sprung nach Amerika. Nach der Tour klingelt nachts das Telefon: „Hi, hier ist Ike. Komm’ rüber.“ Er hatte ein Stockwerk im Münchner Hilton gemietet für eine große Party. Dann fing er wieder an: „Komm zu uns zur Band.“ Ich wollte aber nicht. Danach schickte er mir und meiner damaligen Freundin, meiner heutigen Frau Claudia, zwei Tickets nach Los Angeles. Dort spielte ich im Studio für Ike und Tina Turner Songs ein, aber in die Band bin ich nicht eingestiegen.
Damals gab es in München noch viele Clubs für Live-Musik. Das hat sich geändert.
Das ist wirklich schade. Sonst hätte ich schon immer wieder mal Lust, mit zwei oder drei Freunden in einem Club aufzutreten.
Das fehlt doch noch in Ihrem Portfolio, ein Club.
Hatte ich tatsächlich mal. Da war ich 15. Ich habe damals nicht schlecht verdient und lebte bei meinen Eltern. Da habe ich einen Live-Club eröffnet in Hanau, Experiment One hieß er. Den hat jemand für mich geführt. Aber das war dann doch nichts für mich.
Das Gespräch führte Antonio Seidemann.