Ein Roman, der sich „Der Flakon“ nennt (angenehme Assoziation), schreckt einen dennoch auf mit einem Überfall auf ein friedfertiges Nachbarland, obendrein ohne Kriegserklärung. Grauenhaft aktuell diese Konstellation. Nur geht es in Hans Pleschinskis neuem Buch nicht um Russlands Putin und die Ukraine, sondern um Preußens Friedrich II. und Sachsen.
Im Herbst 1756 ist Friedrich August II., Herrscher in Sachsen und König von Polen, mit seinem Premierminister Heinrich Reichsgraf von Brühl bereits auf eine Festung geflohen und hofft auf Hilfe aus Österreich. Als Groteske zwischen Not und Luxus beschreibt der Münchner Autor das Chaos auf der Burg. Sachsens totgesparte Armee hält nicht stand. Die Herrn fliehen nach Polen.
Bei Pleschinski sind es die Frauen, die standhalten. Die sieche Königin bleibt eisern im Dresdner Schloss so wie die Reichsgräfin Maria Anna (Marianne) Franziska von Brühl in ihrem legendär schönen Palais-Ensemble, heute noch als Brühlsche Terrasse bekannt. Tapfer an ihrer Seite ein Fräulein von Barnhelm. Nein, nicht Minna aus Lessings Lustspiel, sondern Luise.
Solch kulturelle Ausrufungszeichen machen deutlich, dass der Schriftsteller keinesfalls einen polit-geschichtlichen Roman anbieten möchte und schon gar keinen militärhistorischen über den Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763). Schlachtengewoge und Winkelzüge von Preußen, Sachsen/Polen, Frankreich, Russland, Österreich und England werden in „Der Flakon“ nur angetippt.
Der Krieg zeigt sich vielmehr als Zerstörung von Mensch und Menschenwerk: als Verstümmelung und Tötung, direkt oder indirekt durch Hunger, Seuchen, Feuer, als Vertreibung und Flucht, als wirtschaftlicher und künstlerischer Niedergang; kurz: als Inbegriff von Sinnlosigkeit und Unverstand. All das ausgelöst von einem König, der sich Aufgeklärtheit und Kunstsinnigkeit zugute hielt.
Fast schon genüsslich breitet Hans Pleschinski seine Analyse Friedrichs II. vor der Leserschaft aus. Und betont, wie geschickt sich der Preuße zum „Großen“ stilisieren ließ und als „Erster Diener des Staates“ inszenierte. Für die Reichsgräfin Marianne ist er jedoch der Ursprung allen Übels, und den will sie tilgen. Mit dem Flakon. Der enthält kein Duftwässerchen und kein Riechsalz. Die Phiole umfängt vielmehr ein Gift, das Neapolitanerinnen erfolgreich an missliebig gewordenen Ehemännern erprobt haben sollen. Die hohe Dame wagt also die Reise von Dresden nach Leipzig, wo sich der Feind aufhält. Inkognito, unter falschem Namen ist sie in einem gewöhnlichen Reisewagen (nicht Kutsche) unterwegs. Raus aus „der Palastsülze“ ist die Devise. Die Gelehrten Christian Fürchtegott Gellert und Johann Christoph Gottsched, die bei Friedrich Zutritt haben, will sie treffen. Sie sollen ihn vergiften.
Die beschwerliche Fahrt nutzt Pleschinski zu diversen Lebens- und Liebesgeschichten und einem soziologischen Panorama der Gesellschaft zwischen Spätbarock und Aufklärung, der unmerklich beginnenden Adelsdämmerung und dem Erstarken des Bürgertums. Sinnbild: Im Postwagen sitzen Reichsgräfin und Bierbrauerin zusammen. In diese übergeordnete Entwicklung fügt der Autor Details ein: von öffentlichen Verkehrsmitteln bis zu Bestrafung/Folter (Schandgeige), von Mode bis Finanztricks (mieses Münzmetall), von der Reform des deutschsprachigen Theaters (kein zotiger Hanswurst) bis zur Erarbeitung einer deutschen Rechtschreibung, von staatsrechtlichen Überlegungen (das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als eine Art EU) bis zur Gleichstellung der Juden.
So sehr der Schriftsteller aus dem 21. Jahrhundert eine Lanze bricht für Gellert und Gottsched (er ehrt auch die Gottschedin, eine Dramatikerin), so sanft ironisch zeigt er in fein ziselierten Szenen, dass diese Herrn keine James Bonds des Barocks sein würden. Ob es ein Giftattentat gab? In seinem Tagebuch schreibt Graf Lehnhoff, Kammerherr der Königin von Preußen, über dieses Gerücht. Der Bösewicht war ein diebischer Diener.
Hans Pleschinski:
„Der Flakon“.
C.H.Beck Verlag, München, 355 Seiten; 26 Euro.