Es ist die höchste Schule der Musik. Das Drehen und Drechseln von Themen und Motiven, das Verarbeiten, Befragen – zur höchsten Blüte gebracht bei Johann Sebastian Bach. Ausgerechnet er, obwohl er doch Basis für alle und alles ist, taucht auf Igor Levits Doppel-CD „Fantasia“ eher am Rand auf. Mit der „Air“-Bearbeitung von Alexander Siloti, vor allem aber mit der Chromatischen Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903. Und schon hier erstaunt, wie Levit dieses Werk gerade nicht spielt: als Schau-Stück, als Posieren eines Virtuosen. Levit ist auf einem Karriere-Niveau angekommen, auf dem anderes entscheidend ist: die enorme Souveränität, die Übersicht in den vertracktesten Passagen, eine Selbstverständlichkeit im Jonglieren mit der Ton-Masse.
Nicht nur hier ist das so, auch in den beiden Zentralwerken des Albums. Es ist die extreme Varianz des Ausdrucks, die Levits Deutung von Liszts h-Moll-Sonate so groß macht, das stringente, drahtige, aber doch körperliche Spiel. Donnern erlauben sich andere, bei Levit bedeutet Romantik auch ein stetes Sich-infrage-Stellen. Ein Furor, der von innen glüht.
Noch mehr hört man das in Busonis monumentaler „Fantasia contrapuntissima“. Die Klarheit, mit der die Verästelungen nachgezeichnet werden, die Farbspiele, mit denen zusätzliche Ebenen eingezogen werden, die Differenziertheit selbst in den vehementen Steigerungen, all das macht diese halbe Stunde zu einer Referenz-Interpretation. Zwei h-Moll-Stücke von Alban Berg, Liszts Klavierfassung von Schuberts „Doppelgänger“-Lied und Busonis „Nuit de Noël“ sind mehr als nur Dreingaben, sondern Kontrastmittel und Weiterführungen. Eine herausragende, herausfordernde Doppel-CD. MARKUS THIEL
Igor Levit:
„Fantasia“ (Sony).