Heiße Ware im alten Kaufhof

von Redaktion

Das ehemalige Kaufhaus am Stachus wird zum Kultur- und Sportzentrum

VON KATJA KRAFT

Bei dem Namen Michi Kern denken Münchner an Feierei bis in die Morgenstunden. Deshalb stellt der „König des Münchner Nachtlebens“ gleich klar: „Wir machen hier alles – außer Party.“ Wobei das genau genommen eine Lüge ist. Denn das gigantische Projekt, das Kern und seine Mitstreiter gerade im ehemaligen Kaufhof am Stachus aufziehen, ist in Wahrheit eine einzige große Feier. Des Lebens, der Urbanität und der Kreativität. „Lovecraft“ nennen sie ihr Zwischennutzungskonzept in dem siebengeschossigen Gebäude (plus ausgebautem Keller) am Karlsplatz. Es ist einer der prominentesten Leerstände der Stadt. Doch für die kommenden zwei Jahre steht hier nix mehr still. Von diesem Wochenende an ist wieder Leben in der Bude.

Dann laden Michi Kern und die weiteren Betreiber der Lovecraft GmbH zu zwei Tagen der offenen Tür ein. Bewusst sprechen sie beim gestrigen Presserundgang nicht von einem „Grand Opening“, denn fertig ist hier längst nicht alles. Und das ist ganz im Sinne der Erfinder. Nach und nach wird auf der großzügigen Fläche von 25 000 Quadratmetern in den kommenden Monaten Neues entstehen. Wiederkommen lohnt also.

Bereits am Freitagabend eröffnet die Sammlung Goetz im Untergeschoss eine Ausstellung der schwedischen Künstler Nathalie Djurberg und Hans Berg. Deren Installation „The Experiment“, die auf der Biennale 2009 mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde, können Lovecraft-Besucher bis 28. April dienstags bis sonntags von 12 bis 18, freitags bis 20 Uhr anschauen. Innerhalb des Hochhauses kann man sich (kosten-)frei bewegen, für die Schau kauft man ein Ticket (fünf, ermäßigt drei Euro). Und darf dann hineintreten in den aus Plastilin gefertigten Horrorgarten. Durch die Geisterhaus-Atmosphäre wird das Bedrohliche der in dunkles Licht getauchten Pflanzen noch verstärkt. Auf Monitoren erzählen Stop-Motion-Filme verstörende Geschichten: Von Djurberg gefertigte Knetfiguren wirken kindlich unschuldig – aber tun abscheuliche Dinge. Sadismus, Mord, (Macht-) Missbrauch. All dies: Zivilisationskrankheit oder Teil der menschlichen Natur?

Zwei Stockwerke höher sieht man im Lovecraft gedruckte Repliken der berühmten Gemälde von vier alten Meistern: Leonardo da Vinci, Raffaelo Santi, Michelangelo und Sebastiano. „Wir können kein Museum ersetzen“, betont Gabriel Ioana, der die Ausstellung organisiert. „Aber wir möchten den Menschen die Möglichkeit geben, die Werke einmal nebeneinander und ganz nah in Ruhe betrachten zu können.“ Angereichert mit spannenden Geschichten über die Entstehung solle diese Schau ein Appetitmacher sein, sich die Arbeiten in den Museen dieser Welt (und Münchens!) einmal live anzuschauen. Bis 14. Januar täglich von 10 bis 20 Uhr (19 Euro, am Wochenende 22 Euro).

Und nach dem Kunst-Besuch? Haben sich junge Familienmitglieder einen Abstecher ins vierte und fünfte Geschoss redlich verdient. Kann man aber auch ohne Eltern jederzeit hingehen – und sich kostenlos so richtig austoben. Fußball, Tischtennis, Rollschuh fahren, all das ist hier bald möglich. Wegen baurechtlicher Auflagen wohl etwa in zwei Monaten.

Und dann sind da noch die Community Kitchen im Erdgeschoss, mit der Günes Seyfarths Lebensmittel-Rettungs-Restaurant aus Neuperlach einen neuen Ableger mitten im Zentrum erhält. Oder die „Zero Waste Arena“ im dritten Stock, wo man etwa in einem Repair Café alte Dinge flottmachen kann. Und natürlich das Sahnehäubchen ganz oben: Hier finden junge Selbstständige und Freiberufler aus der Kultur- und Kreativwirtschaft Büroflächen zu bezahlbaren Preisen. Das Magazin Mucbook kümmert sich seit Jahren darum, leer stehende gewerbliche Flächen zu fairen Konditionen denen zur Verfügung zu stellen, die die hohen Vergleichsmieten nicht stemmen können und deshalb häufig abwandern. Die nächsten zwei Jahre über auch im Lovecraft. Mit herrlichem Blick über München. Wenn das keine guten Aussichten sind.

Warum all das möglich ist? Weil sich Leute ein Herz gefasst haben, die nicht hinnehmen wollen, dass die Innenstädte aussterben. Durch Förderung durch die Stadt oder Sponsoren wie Mini kann die Vision umgesetzt werden. Und weil da mit Michael Zechbauer ein Eigentümer ist, der bereit ist, sein Haus für dieses Experiment zu öffnen, das Vorbild sein kann für weitere Zwischennutzungen in immer häufiger auftretenden Leerständen.

Dass die Stadt das Projekt mit 298 000 Euro unterstützt, ist nicht uneigennützig. „Es ist in unserem Interesse, dass an diesem prominenten Standort – kaum zu toppen in Sachen Frequenz – kein dauerhafter Leerstand entsteht“, betont Stadtdirektor Kurt Kapp. „Das Ziel ist, junge Menschen in die Stadt reinzuholen. Nicht nur durch Kommerz, sondern durch kostenlose Freizeitmöglichkeiten.“

Weil die Rolltreppen aus Verkehrssicherheitsgründen nicht genutzt werden dürfen, erschließt man sich die Räume über hölzerne Stufen (oder die barrierefreien Aufzüge). Treppab aber wurden auch Rutschen eingebaut. Im Affenzahn geht’s da durch die Stockwerke. Fühlt sich wie fliegen an. Hier flutscht’s!

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