Ein bisschen Glück

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Tim Staffel zeigt in „Südstern“ das raue, liebenswerte Kreuzberg

VON SABINE DULTZ

Und sie ist doch ein Engel. Ein sehr lebendiger, der den Mitmenschen guttut, wobei sie allerdings selber fast draufgeht. Kein Wunder, denn der Schauplatz ist mitten in Berlin-Kreuzberg, rund um den Südstern, nicht gerade das bestbeleumundetste Viertel der Stadt, liebenswert und verkommen, ehrlich und verlogen, friedlich und brutal zugleich. Tim Staffel (58) gibt denn auch seinem Roman den prägenden Titel: „Südstern“.

Nach langer Schreibpause erzielt er damit einen Erfolg, der wohl vor allem ihn am meisten überrascht haben mag. Denn der Berlin-Roman hat es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2023 geschafft. Als eine Art Reigen erzählt Tim Staffel vom rauen Leben der Bewohner des Viertels, von ihrem Hoffen, ihrer Sehnsucht, ihrem bisschen Glück, von ihrer Kraft und ihrem Schmerz. Und immer ist Kampf. Irgendwie kennen sie sich alle, denn die Metropole ist in jedem ihrer Stadtteile doch auch ein Dorf.

Vanessa mit dem gut berlinischen Nachnamen Paschke ist jener Engel, gelernte Pharmakologin, Kurierin einer Berliner Apotheke und Barfrau zugleich. Sie lebt mit Olli zusammen in dessen hübscher Altbauwohnung: ein aufsteigender Grünen-Politiker im Abgeordnetenhaus. Es gibt noch ihren Bruder Felix, der als Beamter im Tegeler Gefängnis arbeitet und Gefahr läuft, an den vielen Suiziden von Häftlingen psychisch zugrunde zu gehen. Außerdem nimmt ihr Nenn-Vater Andreas eine gewichtige Rolle ein, dem die Bar gehört und der regelmäßig nach Amsterdam fährt, zum Liebsten und zu sonstigen Geschäften.

Ein buntes Treiben also rund um den Südstern. Und immer mittendrin der Polizist Deniz Aziz, der mit seiner schnippischen, ständig Bonbons lutschenden, jungen Kollegin Jovanna in diesem Abschnitt Streife fährt. Er lebt mit seinem alten deutschen, pflegebedürftigen Vater in einer kleinen Wohnung. Der leidet an Parkinson und fortschreitender Demenz, hat jedoch seinen Lebenswitz nicht ganz verloren. Wie all die Figuren, die der Autor aufmarschieren lässt, ob Imbissbuden-Besitzer, Gemüsehändler, Krankenpflegerinnen oder Kundschaft. Ihre Grundstimmung: Überlebenswillen und Galgenhumor.

Da passen Vanessa, der Engel, und Deniz, der Polizist, gut zusammen. Eine Liebe, zunächst nur so nebenbei, im Laufe des Romans aber alternativlos. Als Vanessa ihr Handy gestohlen wird, ist das der größte Schock für sie: „Ich habe mein Leben verloren…, vielleicht auch meinen Verstand.“ Aber einem Engel gelingt schließlich alles, Geldbeschaffung, Flucht und Happy End. Ein Roman voller realistischer Momentaufnahmen, weit weg vom bürgerlich- oder auch kleinbürgerlich-satten Leben, mit dem uns vielfach die neue gängige Literatur sonst beglückt. Das hebt ihn, trotz seiner finsteren Seiten, angenehm heraus aus dem aktuellen Bücher-Zirkus.

Tim Staffel:

„Südstern“. Kanon Verlag, Berlin, 288 Seiten; 25 Euro.

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