Spiel mit Licht und Schatten

von Redaktion

AUSSTELLUNG Der US-Starfotograf Ralph Gibson im Kunstfoyer München

VON KATJA KRAFT

Ralph Gibsons Mutter ist bei einem Hotelbrand ums Leben gekommen. Da war der heute 82-Jährige Anfang 20. Gelähmt vor Schmerz, kann er bei ihrer Beerdigung nicht weinen. Jahre später, er ist inzwischen 30, zieht er von San Francisco, wo er am Art Institute Fotografie studiert hat, nach New York. Gibson schlendert durch die Straßen, seine Leica mit 50er-Objektiv wie immer um die Schulter gehängt. Plötzlich steht er vor einem brennenden Schönheitssalon. Er drückt auf den Auslöser – und in diesem Moment kommen die Tränen. Seine Mutter hatte einst in einem solchen Laden gearbeitet.

Bilder und Gefühle, die tief verschüttet waren, dringen in dieser Sekunde in sein Bewusstsein. Es ist ein Wendepunkt, an dem ihm klar wird: „Entweder ich verkaufe meine Seele an die Fotografie – oder ich finde sie darin.“ Gibson hat sich für Letzteres entschieden. Nicht für den kommerziell attraktiven Weg der Mode- und Werbefotografie, sondern für die Kunst. Wie sehr er sie beherrscht, ist nun im Münchner Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung zu bestaunen.

Es ist die mit rund 300 Arbeiten größte Ausstellung des renommierten US-amerikanischen Fotografen. Und es ist auch der Pandemie zu verdanken, dass sie derart sehenswert ist. Denn als Kuratorin Sabine Schnakenberg zur Vorbereitung in Gibsons Studio reiste, war der gerade coronakrank. Er tat also, was er normalerweise niemals tut: „Ich gab Sabine eine Carte blanche, frei aus meinen Arbeiten zu wählen. Wissen Sie was? Das Resultat ist viel besser geworden, als wenn ich von Anfang an dabei gewesen wäre“, erzählt der gut aufgelegte, unverschämt braun gebrannte Künstler beim Rundgang.

Er ist selbst erstaunt, wie viele verschiedene Versionen seiner selbst ihm dabei begegnen. „Im Grunde sehen Sie in den Bildern aus 60 Jahren die unterschiedlichen Menschen, die ich in diesen 60 Jahren gewesen bin.“ Allen gemein ist das außerordentliche Talent für das Spiel mit Licht und Schatten. Wie Gibson den Bildaufbau komponiert, wie er motivisch immer mutiger ins Assoziative, Surreale geht, wie er weglässt, andeutet; wie es ihm gelingt, das Unspektakuläre spektakulär hervorzuheben, zeigt wieder einmal, was der Unterschied ist zwischen knipsen und fotografieren. Er bildet nicht ab, er sieht hin. Fängt ein und stößt uns auf die Schönheit dieser Welt.

Dabei denkt der Literatur- und Filmenthusiast nicht in Einzelbildern, sondern in Serien. Besonders stark die Reihe „The Somnambulist“ (1970). Am Beginn ein Selbstporträt, die Sonne knallt durchs Fenster, doch er schläft. Man spürt die Hitze. Und schleicht sich Bild für Bild ein bisschen weiter vor in seiner Traumlandschaft. Das hat was von Magritte und der Stummfilmästhetik eines Friedrich Wilhelm Murnau. Und wird in der Folge immer intensiver – in Gibsons Reihe „Quadrants“ (1975-1988) scheinen die Motive wie ausgesichelt und auf schwarze Leinwand geklebt. Scherenschnitte eines Caravaggio der Fotografie.

Und dann natürlich: die Akte. Gibson ist ein Meister auch darin, den weiblichen Körper auf erotische, niemals voyeuristische Weise bildlich einzufangen. Vielleicht, weil er Frauen nie als Objekt betrachtet, sondern in ihnen allen voller Faszination die Ur-Form sucht. „Eine Reflexion aller meiner Bildideen fand ich im weiblichen Körper“, formuliert er es selbst. Möge diese Suche noch lange weitergehen.

Bis 26. November

Maximilianstraße 53, München, täglich von 9.30 Uhr bis 18.45 Uhr; der Eintritt ist frei.

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