Spaniens Seele

von Redaktion

AUSSTELLUNG Kunsthalle München feiert vergessenen Maler Ignacio Zuloaga

VON KATJA KRAFT

Man spricht ja nicht umsonst von Farbtönen. Der spanische Maler Ignacio Zuloaga hat in seinen Werken jede Nuance genau gewählt. Und auf diese Weise ganze Farbton-Symphonien komponiert. Von heute an leuchten sie einem in der Kunsthalle München entgegen. Man könnte jetzt versuchen, das mit der Smartphone-Kamera festzuhalten; oder man lässt das Ding im Schließfach liegen und wandelt stattdessen mal ganz angenehm unerreichbar durch die Räume. Denn die ungeheure Tiefe, die Zuloagas Arbeiten auszeichnet, überträgt sich auf Fotos nur bedingt.

Es ist also eine Ausstellung zum hemmungslosen analogen Schauen. Und damit schwieriger zu bewerben als etwa die mit 350 000 Besuchern sensationell erfolgreiche jüngste Schau, „Flowers Forever“. Man muss Kunsthalle-Chef Roger Diederen hoch anrechnen, dass er es immer wieder wagt, darauf zu pfeifen, was bei Instagram gut klicken könnte. Dass er stattdessen auch mal weniger prominente Positionen wie den Polnischen Symbolismus ans Licht zieht. Und so Menschen, die beispielsweise begeistert „Flowers Forever“ sahen, dazu bringt, sich einem vergessenen Maler wie Zuloaga zuzuwenden. Kunstgeschichtliche Horizonterweiterung, die erfrischt.

Dabei war der Spanier, der 1870 im Baskenland geboren wurde, einmal ein weltweit hoch angesehener Künstler. Mehr noch: Zuloaga hat das Bild, das Menschen im 19. und 20. Jahrhundert von seinem Heimatland hatten, maßgeblich geprägt. Es wirkt bis heute nach.

In einer Zeit, in der die einstige Weltmacht Spanien durch die Niederlage gegen die USA 1898 an Einfluss verlor, suchten Zuloagas Landsleute nach Orientierung. Auch die fortschreitende Industrialisierung und die zunehmende Europäisierung des Landes sorgten für Identitätsverlust. Der Maler stillte die Sehnsucht nach einem neuen Gemeinschaftsgefühl. In seinen Werken beschwört er nicht weniger als die spanische Seele herauf. Das Herz des Landes, es beginnt zu schlagen in Zuloagas Bildern von stolzen Toreros, von in der Sonne gegerbten Landschaften und weintrinkenden Bauern, die nur noch ein Glas von der Siesta entfernt sind.

Sein Blick ist geprägt von seiner eigenen Geschichte. Denn er selbst hat in Paris studiert, wurde schnell Teil der dortigen High Society, und schaute so lange Zeit von außen auf seine Heimat. Was ihm die Landsleute übel nahmen. Zu abgerissen und ärmlich stellte Zuloaga Spanien ihrer Meinung nach in seinen Werken dar.

Sichtlich beeinflusst von französischen Zeitgenossen wie Henri de Toulouse-Lautrec, findet er zurück zu den alten spanischen Meistern. Zu El Greco (1541-1614), Francisco de Goya (1746-1828), Diego Velázquez (1599-1660). Aber da ist eben auch der Franzose in ihm, der sich ironische Brüche erlaubt. Besonders originell im „Porträt der Doña Rosita Gutiérrez“ (1914/1915). Die Dame, die darauf so herrschaftsvoll in traditioneller spanischer Tracht neben einem (frappierend ähnlich blickenden Hündchen) sitzt, hält einen Fächer in der Hand, darauf Goyas „Die nackte Maja“. Wer meint, das sei spanische Folklore pur, irrt. In Wahrheit hat er hier eine in Paris lebende Prostituierte und Bordellbetreiberin porträtiert.

Es sind diese Codes und Hintersinnigkeiten, die zu entdecken der große Spaß an dieser Schau ist. Weil Zuloaga viel subtiler als etwa Toulouse-Lautrec die Damen der Halbwelt malt, gilt es, die Symbolik zu erkennen. Die zwei „Pariserinnen (in Saint-Cloud)“ (1900) scheinen auf den ersten Blick wie züchtige Frauen beim Kirchgang. Das Rot des Mantels, die stark geschminkten Gesichter, der starre, von Drogenkonsum gezeichnete Blick aber verraten, welches Gewerbe sie betreiben. Immer wieder gesteht Zuloaga Randfiguren wie ihnen dieselbe Präsenz zu wie hochgestellten Personen, die den gefragten Porträtisten engagierten. Rückt Kleinwüchsige oder Roma ins Zentrum. Und schafft es, dem klischeehaften Blick von Literaten wie Heine, die über Spanien schrieben, ohne je dort gewesen zu sein, Wahrhaftigkeit entgegenzusetzen. Die Ausstellung „Mythos Spanien“ – eine Reise, die sich lohnt.

Bis 4. Februar 2024

in der Kunsthalle München, Theatinerstraße 8, täglich 10 bis 20 Uhr.

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