Volksfest der Klassik

von Redaktion

Das Bayerische Staatsorchester feiert seinen 500. bei „Oper für alle“ auf dem Marstallplatz

VON ANNA SCHÜRMER

Volksfeststimmung in München bei bestem Kaiserwetter. Wir reden hier nicht von der Wiesn-Eröffnung, sondern von „Oper für alle“. Auch wenn der Name ein Etikettenschwindel ist – denn es ist keine Oper zu hören, sondern ein klassisch-romantisches Konzertprogramm, gespielt vom Bayerischen Staatsorchester unter seinem Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski.

Der Klangkörper der Bayerischen Staatsoper feiert dieser Tage seinen 500. Geburtstag (wir berichteten) und hat für die Party daheim seine große Tournee unterbrochen. Ein halbes Jahrtausend hat dieses Aushängeschild bayerischer Hochkultur auf dem Buckel, dagegen sieht die Wiesn mit ihren 188 Lenzen Bierkultur geradezu mickrig aus. Das Publikum muss dafür noch nicht mal Tracht anlegen und schon gar nicht um die 14 Euro für eine Mass Bier zahlen. Vielmehr darf die Verpflegung in bester Biergartentradition selbst mitgebracht werden und ist überhaupt der ganze Spaß umsonst – dank der Sponsoren BMW und UniCredit.

Der unmittelbare Vergleich lässt nur einen Schluss zu: Ein Hoch auf Bayerns Hochkultur! Na gut, beim Publikumsvergleich schneidet die Wiesn besser ab: Mit sechs Millionen erwarteten Gästen, rund 300 000 pro Tag, kann „Oper für alle“ nicht konkurrieren. Allerdings ist die Leistung, mit klassischer Musik knapp 10 000 Hörer auf den Marstallplatz zu locken, mehr als beachtlich und löst das Versprechen der Veranstaltung ein: eben Oper für alle zu machen, nicht nur für einen kleinen Liebhaberkreis exklusiver Kunstmusik.

Denn machen wir uns nichts vor: Die musikalische Hochkultur ist nicht gerade inklusiv, das steckt ja schon im Namen: Klassik – Klassismus. Ganz frei davon kann sich auch „Oper für alle“ nicht machen. Denn während „alle“ es sich mit Decken auf dem steinigen Boden bequem machen, sitzen die Ehrengäste hinter roten Kordeln im Restaurant „Spice Bazaar“, weit entfernt von der von einer Glaskuppel überdachten Bühne.

Insofern kann diese Klassentrennung auch als vornehme Zurückhaltung gedeutet werden, indem das Volk bei diesem Fest den Vortritt erhält. Tatsächlich ist auch dieses Volksfest schöner auf den billigen Plätzen: Hinten lässt sich gut über Kulturpolitik plaudern, von der Bühne selbst ist wenig zu sehen; freie Sicht und die tolle Atmosphäre erlebt man vorne – und eine deutlich bessere Akustik. Das zeigt sich mit Konzertbeginn, als das Orchester und Solist Yefim Bronfman Robert Schumanns einziges Klavierkonzert anstimmen.

Eine erfrischende Erfahrung ist das allerdings schon, klassische Musik ohne disziplinierende Konventionen zu genießen. Wo Gläser klirren und Zaungäste vorbeischlendern, wo geflüstert und auch mal zwischen den Sätzen geklatscht wird – eben „Oper für alle“, was letztlich doch kein Etikettenschwindel ist. Denn auch wenn kein Musiktheater mit Bühnenbild und Pipapo aufgeführt wird, kann doch von einem audiovisuellen Gesamtkunstwerk gesprochen werden: Gibt es eine bessere Kulisse als den lauschigen Platz im Herzen Münchens für ein Stück über Landschaft und Seele der hiesigen Kultur? Schroff und lieblich, lustig und feinsinnig, hemdsärmelig und hoch komplex ist Richard Strauss’ „Alpensinfonie“. Und in jedem Fall ist die Musikauswahl beim Volksfest auf dem Marstallplatz deutlich besser als auf der Theresienwiese: bayerische Kultur, ganz ohne Schunkeln und Gegröle.

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