Der Fotograf des Herzogs

von Redaktion

NACHRUF Trauer um den großen Künstler Erwin Olaf, der das Spiel mit Licht und Schatten liebte

VON KATJA KRAFT

Kurz vor seinem 60. Geburtstag hat Erwin Olaf noch einmal etwas gewagt. Hat der große niederländische Fotokünstler oft in seinem Leben. Aber dieses Shooting von „Self-Portrait with Teun“ damals im Jahr 2018, das führte ihn und seinen Ex-Freund Teun auf emotionales Terrain, das den meisten Menschen aus Angst davor verschlossen bleibt. Olaf und Teun hatten sich 1985 zusammen nackt fotografiert – und taten es 33 Jahre später wieder. Filmemacher Michiel van Erp, der Olaf in dieser Zeit für den sehenswerten Dokumentarfilm „Erwin Olaf – The Legacy“ mit der Kamera begleitete, war bei dem Shooting dabei. In van Erps Aufnahmen sieht man zwei alte, von Krankheit gezeichnete Männer. Einst so hypersexuell, jetzt gebrechlich. Da ist viel Scham, viel Schmerz auch angesichts der verblühten Jugend. Doch am Schluss ein Lächeln. Denn: „In diesen 40 Jahren taten wir alles, was Gott verboten hat.“ Seine Fotos erzählen davon.

Wie gestern bekannt wurde, ist Erwin Olaf bereits am Mittwoch im Alter von 64 Jahren verstorben. An den Folgen einer Lungentransplantation. Dass er schon lange schwer lungenkrank gewesen war, daraus hatte der Künstler nie ein Geheimnis gemacht. Wie er überhaupt offen zu für viele Menschen schambesetzten Themen stand. Zu seiner Sexualität beispielsweise, er lebte offen schwul. Auch das ist in seinen Arbeiten durchaus erkennbar. Vor expliziten Sexszenen schreckte er nicht zurück, ließ seine Models auch schon mal vor dem Shooting fesseln, in aberwitzigen Posen verharren. Was ihn interessierte, war nicht das oberflächlich Schöne, sondern der Abgrund dahinter. In seinem meisterlichen Spiel mit Licht und Schatten leuchtete der Fotograf die Narben aus, die Falten, die Wunden. Die Art, wie er seine Protagonisten opulent in Szene setzte, erinnerte an Gemälde der Alten Meister.

Fast immer setzte Erwin Olaf auf Serien, er wollte Erzählungen beginnen. Die Atmosphäre darin war meist beklemmend, irgendetwas stimmte nicht – was das war, sollte der Betrachter in der eigenen Seele ergründen. Da stellte er sich in die Tradition von Marcel Duchamp (1887- 1968), der einmal formulierte: „Es sind die Voyeure, die Bilder machen.“

Auch das Münchner Publikum blickte fasziniert hin. Bei der großen Ausstellung in der Kunsthalle, im Jahr 2021 (wir berichteten). Der vielsagende, treffende Titel: „Unheimlich schön“. Am Eingang hingen Porträts von Menschen, die man mit Olafs oft provokanter Bildsprache zunächst gar nicht in Verbindung gebracht hätte: Herzog Franz von Bayern etwa, fotografiert im Mai 2021 in Schloss Nymphenburg. Und doch versteckte sich auch in diesen auf den ersten Blick klassischen Adelsporträts eine kleine Prise Sprengstoff. Denn auf einem Bild ist Herzog Franz mit Thomas Greinwald abgebildet. Das erste Bekenntnis der beiden zu ihrer Partnerschaft, die der Wittelsbacher später dann in seiner Autobiografie ganz und gar öffentlich machen sollte.

Die Porträts bildeten den Auftakt zu einem neuen Projekt des Künstlers. Die Idee für die „Blue Blood“ betitelte Reihe war ihm durch eine Auftragsarbeit gekommen: 2018 hatte ihn die niederländische Königin Máxima gebeten, ihre Familie zu fotografieren. Die entstandenen Bilder schenkte sie ihrem Mann, König Willem-Alexander, zum Geburtstag. Noch im selben Jahr wurde Olaf mit den offiziellen Staatsporträts des niederländischen Königshauses beauftragt. Einige dieser Porträts waren ebenfalls in der Kunsthalle München zu sehen. Und damit Olafs Idee, die Menschen hinter den Adelstiteln zu zeigen. Klar, dass Tierfreund Franz von Bayern mit seinem geliebten Dackel posierte.

Es ist falsch zu sagen, dass keiner hätte ahnen können, dass „Blue Blood“ eine von Erwin Olafs letzten Arbeiten werden würde. Als man ihn in München traf, musste er sehr auf seinen Atem achten, konnte sich nur langsam durch die Ausstellung bewegen. Doch tat er dies noch immer erfüllt von so viel Witz und hintergründigem Humor, dass deutlich wurde: Dieser Mann war nicht nur ein fantastischer Künstler, er war vor allem ein feiner Mensch. Sein Leben, ein teuflisches Vergnügen – man hat es ihm sehr gegönnt.

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