Der schöne Schein

von Redaktion

Klangfarbenbad mit den Münchner Philis

VON ANNA SCHÜRMER

Vor der Pause die deutsche Erstaufführung eines Auftragswerks, im zweiten Durchgang eine Komposition aus dem 20. Jahrhundert. Diese Programmdaten könnten vom Konzert der Münchner Philharmoniker am Mittwochabend in der Isarphilharmonie Avantgardistisches vermuten lassen. Aber der Schein trügt. Denn auch, wenn Thierry Escaich ein Komponist der Gegenwart ist, so ist seine Musik doch der Vergangenheit verpflichtet – auch wenn sie Komponenten aus Pop, Jazz und Neuer Musik aufgreift.

Thierry Escaichs „Etudes symphoniques“ für Klavier und Orchester atmen die impressionistische, leicht dekadente Klangfarbenwelt des Fin de siècle: Reich an schillernden Klangfarben, impulsiven Rhythmen und dichten Harmonien, die nur behutsam ins Atonale abtauchen, schmeichelt das Klavierkonzert den Ohren, ohne allzusehr zu irritieren. Den Solisten setzt der französische Komponist als Tastengott in Szene – und erlaubt Seong-Jin Cho, seine ganze Klasse auszuspielen: atemberaubend ist seine Virtuosität, makellos sein Anschlag und traumwandlerisch sicher seine rhythmische Finesse.

Ein pianistischer Überflieger war auch Sergej Rachmaninow – als Komponist scheidet er bis heute die Geister. In seine spätromantische Musik mag man sich genüsslich hineinlegen – das Bad im duftenden Klangfarbenmeer kann aber etwas klebrig werden. Das gilt auch für Rachmaninows Symphonie Nr. 2 in e-moll, die in vieler Hinsicht die Klangsprache neoromantischer Filmmusik vorwegnimmt.

Zum Glück dosiert Dima Slobodeniouk, der kurzfristig für den erkrankten Semyon Bychkov am Pult eingesprungen ist, die Süßstoffe mit Bedacht und navigiert die Münchner Philharmoniker stilsicher durch die vier Sätze. Einen richtig guten Wind erwischen Dirigent und Orchester im Allegro molto, das sie geradlinig durchsegeln.

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