Von Menschen und Maschinen

von Redaktion

INTERVIEW Bestseller-Autor Ken Follett über seinen letzten Kingsbridge-Roman

Es birgt schon eine gewisse Ironie, zum Interview in einen altehrwürdigen Gentlemen’s Club im Herzen Londons zu laden, um über einen Roman zu plaudern, in dem die Arbeiterklasse mit Blut, Schweiß und Tränen gegen die Unterdrückung kämpft. „Die Waffen des Lichts“ ist Ken Folletts fünfter und finaler Teil der Kingsbridge-Saga, die sich weltweit millionenfach verkauft hat (siehe Kritik links). 880 Seiten, die das Suchtpotenzial einer Tüte Chips entwickeln. Letztere gibt es im eleganten Reform Club selbstverständlich nicht. Stattdessen reichen Folletts aufmerksame Mitarbeiter feine Roastbeef- und Eier-Sandwiches, bis der Erfolgsautor eintrifft.

Der Meister des historischen Romans ist Gentleman bis in die weißen Haarspitzen, tadellos gekleidet und mit einem britischen Charme ausgestattet, der es einem erlaubt, das allgegenwärtige Gefühl von Snobismus mit einer Tasse Tee herunterzuspülen. Dass Follett 180 Millionen Exemplare seiner 37 Bücher in mehr als 40 Sprachen verkauft hat, lässt er sich im Interview nicht anmerken. Der 74-jährige Waliser gibt sich nahbar, interessiert und überaus zugewandt. „Die Grundvoraussetzung, um neugierig und offen für spannende Geschichten zu bleiben“, sagt Follett, der in „Die Waffen des Lichts“ ins 18. Jahrhundert reist.

Sein Roman spielt während der Industrialisierung Großbritanniens, die das Leben der Arbeiter in Kingsbridge auf den Kopf stellt. „Mich hat genau dieses Spannungsfeld gereizt. Die Erfindung von Maschinen, die die Stoffherstellung erleichtern und privilegierte Menschen reich machen und andere, die dadurch Lohn und Brot verlieren.“ Es sei eine Zeit des Aufbruchs, aber auch der großen Grausamkeit gewesen. Ein guter Einstieg für unser Gespräch:

Früher waren es dampfbetriebene Webstühle, heute ist es Künstliche Intelligenz, die einigen Menschen Sorge bereitet. Ihnen auch?

Ich wurde mal gefragt, ob ich glaube, dass KI einen Roman schreiben kann. Und ich antwortete: Ja – einen schlechten. Soll ich Ihnen sagen, warum? Gute Schriftsteller nutzen kreative Intelligenz. Sie beginnen damit, in ihren Büchern Erwartungen aufzubauen, um dann plötzlich eine ganz andere Richtung einzuschlagen. Die Wendepunkte, das Unerwartete und Überraschende ist es doch, was uns in der Literatur, aber auch in der Musik und Kunst fasziniert. Und ich kann mir nicht recht vorstellen, dass Künstliche Intelligenz das vermag. Jedoch, wer weiß …

„Die Waffen des Lichts“ ist der letzte Teil Ihrer Kingsbridge-Saga. Warum?

Ich habe das Gefühl: Jetzt ist es genug. Diese Reihe startete mit dem Erfolg von „Die Säulen der Erde“ eher ungeplant und zufällig. Sie entstand aus dem Gefühl, dass es interessant sein könnte, diesen Ort in verschiedenen historischen Epochen abzubilden. Aber ich glaube, dass man mit einer Idee aufhören muss, bevor das Publikum davon gelangweilt ist.

Ihr neues Buch handelt von Meinungsfreiheit, Wegen aus der Unterdrückung, dem Recht auf Bildung – Errungenschaften, die wir für zu selbstverständlich nehmen …

Auf jeden Fall. Das ist aber auch Teil der Faszination eines Buchs mit historischem Hintergrund. Zu erkennen, wie hart die Leute früher für Rechte gekämpft haben, die für uns ganz normal sind. Wir können jederzeit einer Gewerkschaft beitreten, die Politik kritisieren oder Missstände öffentlich diskutieren. Dinge, für die man im 18. Jahrhundert ausgepeitscht, verbannt oder schlimmstenfalls gehängt wurde. Es ist also höchst spannend, zurückzugehen und die eigenen Privilegien zu erkennen.

Beim Lesen Ihrer Bücher wird man demütig und dankbar, nicht in diese Zeit geboren zu sein. Geht Ihnen das auch so?

Absolut. Es liegt auch für mich als Autor ein gewisser Thrill darin, in eine Ära einzutauchen, die weniger freundlich und angenehm war als die, in der wir heute leben. Weil sich unweigerlich die Frage stellt, wie man selbst mit den widrigen Umständen umgegangen wäre. Kalte Häuser, nicht genügend Nahrung und der Willkür und Gewalt jener ausgesetzt, die das Sagen hatten.

Geht es Ihnen darum, den Lesern zu vermitteln: Schaut, wie viel Glück ihr gehabt habt?

Es war nie mein Ziel, den Leuten etwas beizubringen. Aber in meinen Geschichten wird man mit den Gefühlen vieler verschiedener Menschen konfrontiert. Wenn das die Fähigkeit von Empathie verbessert und uns sensibler im Umgang mit anderen macht, bin ich schon sehr glücklich.

Die Entwicklung einer Geschichte, die Recherche oder schließlich das Schreiben – was macht Ihnen am meisten Spaß?

Ich mag die Anfänge. Das Skizzieren einer Story ist ein sehr attraktiver Teil meiner Arbeit. Ich liebe diese frühe Phase, weil sie spielerisch und von großer Freiheit geprägt ist. Noch kann ich alles machen, alles ändern. Wenn du angefangen hast zu schreiben und dich entschließt, das Geschlecht eines Charakters zu ändern, dann musst du oft 100 Seiten komplett neu schreiben. In der Skizzierphase aber kann aus Michael jederzeit Mary werden.

Sie haben 1973 mit dem Schreiben angefangen. Hätten Sie heute einen Rat für Ihr jüngeres Ich?

Ha, eine gute Frage! Ich würde dem jungen Ken Follett vermutlich raten: Konzentriere dich auf die Emotionen und vergiss alles andere. Ich war damals ganz gut im Erfinden einer Handlung, aber nicht besonders talentiert darin, den Leser in sie hineinzuziehen. Ich glaubte, dass eine erfolgreiche Geschichte Verfolgungsjagden, Grand Hotels und ausschweifende Sexszenen haben muss. Erst mit der Zeit habe ich begriffen, wie wichtig es ist, dass die Leser die Gefühle der Charaktere nachvollziehen und sie mit ihnen teilen können.

Was lesen Sie, wenn Sie sich entspannen wollen oder landen Sie am Ende vor dem Fernseher?

Ich schaue auch ganz gern fern, aber zur Entspannung bevorzuge ich tatsächlich das Lesen. Derzeit liegt Stephen Kings neuer Thriller „Holly“ auf meinem Nachttisch. Er ist ein Meister darin, die Spannung hochzuhalten. Eigentlich wollte ich gestern nur noch ein paar Seiten vor dem Einschlafen lesen und musste mich dann zu später Stunde zum Aufhören zwingen. Ich liebe dieses Gefühl als Leser! Vielleicht arbeite ich deshalb so hart als Autor daran, mein Publikum ebenfalls in einer ständigen Sorge um die Figuren zu halten.

Sie sind 74 Jahre alt und werden hoffentlich 104. Mit welchen Worten sollte Ihr Werk in einem Nachruf gewürdigt werden?

Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, weil ich ja nicht mehr da sein werde, um die hoffentlich wohlwollenden Worte zu genießen. Aber in der „Washington Post“ wurde mal etwas Schönes über mich geschrieben. Da hieß es: Follett schreibt erstklassige populäre Fiktion, die etwas zu sagen hat. Das beschreibt zu einhundert Prozent mein Ansinnen. Sollten Sie also irgendwann meinen Nachruf schreiben, würde ich mich über diesen Satz sehr freuen. (Lacht.)

Das Gespräch führte Astrid Kistner.

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