Mittendrin statt nur dabei. So lässt sich das Septemberfest der Bayerischen Staatsoper kurz und knackig beschreiben. Und dies betrifft vor allem die Künstlerinnen und Künstler des Hauses, die mit kleinen Kostproben in den Fünf Höfen immer wieder Passanten dazu bringen, ihren Shopping-Trip zu unterbrechen. Sei es, um die quirligen Breakdancer zu bestaunen, die kurz zuvor noch im Nationaltheater bei einer Matinee-Vorstellung von „Dido und Aeneas“ auf der Bühne standen, oder um im Café der Kunsthalle auf einmal von Eliza Boom und Martin Snell überrascht zu werden, die hier (passend zum Ambiente) Musettas großen Auftritt aus dem zweiten Akt der „Bohème“ zum Besten geben.
Scheinbar zufällig entsteht im Getümmel plötzlich eine Darbietung des Paranormal String Quartett, dessen Mitglieder unvermittelt ihre Instrumente zücken und sich spielend ihren Weg durch die Menge bahnen – um sich schließlich auf der kleinen improvisierten Bühne zu einem interaktiven Mini-Konzert zusammenzufinden, bei dem auch das Publikum als aktiver Partner gefordert ist und sich tatsächlich immer mehr einspannen lässt.
Zahlreiche kleine Appetithappen, die auf die Produktionen des Hauses hungrig machen sollen. Aber mit den Worte von Intendant Serge Dorny auch darauf, „den Mikrokosmos des Nationaltheaters mit all seinen unterschiedlichen Gewerken kennenzulernen“. Wobei dieses „Wochenende der offenen Tür“ tatsächlich allen Altersgruppen Gelegenheit gibt, Dinge zu erleben, die sonst eher fürs umfangreiche Jugendprogramm reserviert sind. Denn ausnahmsweise darf hier mal nicht (nur) das Publikum von morgen bei zahlreichen Gesprächen oder Workshops in den Opern- und Ballettbetrieb hineinschnuppern. Auch die älteren Semester können ihre innere Rampensau herauslassen.
Ein Höhepunkt ist immer wieder das gemeinsame Singen mit dem Staatsopernchor. Teilnahmevoraussetzung ist weder Textsicherheit noch Kenntnis im Notenlesen, sondern einfach nur, gemeinsam Spaß zu haben. Und mit tatkräftiger Unterstützung der Profis nimmt das berühmte „Va pensiero“ aus Verdis „Nabucco“ tatsächlich erkennbare Formen an. Vor allem nach dem Ende der einstimmigen Einleitung warten durchaus Herausforderungen auf die Laien – doch auch dafür gibt es nützliche Tipps in gelassenem österreichischen Tonfall: „Lassens Ihnen ned irritieren, dass jetzt auf einmal so viele Stimmen in den Noten stehen. Hauptsach, es is laut!“ Am Ende haben nicht nur die Damen und Herren des Staatsopernchores ein Grinsen im Gesicht. Auch beim anschließenden Nasepudern in den Waschräumen oder beim verdienten Belohnungsgetränk in der „Rheingold“-Bar wird Verdis Ohrwurm weitergesummt.
Das so geschulte Rhythmusgefühl ist auch im Ballettsaal von Nutzen, wo eine Reihe von Tanzworkshops für Groß und Klein angesetzt sind. So unter anderem bei einer faszinierenden Stunde mit Anoosha Shastry, die ihre Gäste in die Geheimnisse des südindischen Bharatanatyam-Tanzes einweihte – inklusive kleiner, gemeinsam spielerisch erarbeiteter Choreografien, nach denen die Teilnehmenden die bevorstehenden „Bayadère“-Vorstellungen und das dort aus europäischer Perspektive dargestellte Indien wohl mit anderen Augen sehen werden. Das Finale des ersten Tages gehört dann wieder den Profis auf der großen Bühne. Namentlich dem Bayerischen Staatsballett, das unter dem Titel „Blickwechsel“ einen Schnelldurchlauf durch die Tanzgeschichte zeigt. Den Grundstein legt da der leicht angestaubte, aber umso mehr glitzernde Grand Pas Classique aus „Paquita“ (1881). Beim Sprung in die Moderne steigt auch die Stimmung im Saal deutlich an. Begeisterter Jubel unter anderem für Gasttänzer Daniel Stokes, der gemeinsam mit zwei Shootingstars des Ensembles – António Casalinho und Shale Wagman – in Jacques Garniers „Aunis“ (1979/1980) ein vor Energie geradezu überschäumendes Trio bildet, das dem Publikum zehn Minuten pure Lebensfreude vermittelt. Und Spaß garantiert ebenfalls Choreografin Marion Motin. In „Le Grand Sot“ (2021) wirft sie einen ironischen Blick auf Ravels „Bolero“ und dessen erotischen Subtext. Beginnend mit provokativem, aber wunderbar synchronem Hinternwackeln und Hüftschwingen, ehe sich das Ensemble immer mehr in einen kollektiven Taumel hineinsteigert. Eine klare Ansage des neuen Ballettchefs Laurent Hilaire, nach der man umso gespannter den ersten Premieren der Saison entgegenfiebert.
Intendant Dorny kündigt Blick in den „Mikrokosmos“ an