Mit wachem Blick

von Redaktion

Edith Saldanha im Porträt

VON ULRIKE FRICK

„Im Menschen muss alles herrlich sein“ lautet der Titel des Theaterabends, mit dem die Münchner Kammerspiele an diesem Samstag die Spielzeit 2023/24 eröffnen. Es ist der Titel eines Romans von Sasha Marianna Salzmann, Jahrgang 1985, einer der Shootingstars der jungen deutschen Literatur. Sie rekonstruiert in dem 380 Seiten starken Buch (Suhrkamp) verschiedene Lebenswege, die teils vor der Perestroika in der Sowjetunion beginnen und bis ins gegenwärtige Deutschland führen. In starken, sehr lebendigen Dialogen geht die Autorin den Fragen nach, welche Umstände ein Leben formen und welche Möglichkeiten der Selbstbestimmung es zu welchen Zeiten gab und gibt. Jan Bosse, der bereits Gabriele Tergits „Effingers“ sinnig verknappt auf die Kammerspiele-Bühne brachte, adaptiert jetzt auch diesen historischen Roman. Dabei konzentriert er sich in erster Linie auf die Frauenfiguren.

Auf die Freundinnen Lena und Tatjana sowie deren Töchter. Eine von ihnen, Edi, wird gespielt von der 31-jährigen Edith Saldanha. Für sie ist Salzmanns Text auf der einen Seite ein kunstvoll geschichteter Roman über den Zerfall der UdSSR. Aber auch ein Buch über Familiengeheimnisse, über drei Frauengenerationen und die Schwierigkeit, miteinander zu kommunizieren. Die Figur der Edi hat sich von der restlichen Familie, die nach der Übersiedelung aus der Ukraine nach Deutschland in Jena geblieben ist, nicht nur räumlich weit entfernt. „In den Erlebnissen dieser Frau wird sich jeder wiedererkennen können, der als Migrant der zweiten Generation hier in Deutschland lebt“, sagt Saldanha. „Was sich für innerfamiliäre Konfliktlinien ergeben, wenn man in einem anderen Land groß wird als die eigenen Eltern“, fasst sie zusammen. „Aber es geht auch darum, Verständnis füreinander aufzubringen und die unterschiedlichen Lebensentwürfe der anderen zu respektieren.“

Genau in diesem Wunsch nach Respekt und Verständnis füreinander liegt für sie eine Hauptaufgabe von Theater. „Alles, was man auf der Bühne macht, bezieht sich auf gesellschaftliche Dynamiken. Gutes Theater hat immer eine politische Relevanz.“ Sie weiß, wovon sie spricht. Schließlich hat Saldanha in Würzburg erst ein Politik-, Kunstpädagogik- und Soziologiestudium beendet, ehe sie sich ans Schauspielstudium wagte. „Theater habe ich seit dem ersten Krippenspiel zur Kindergartenzeit gespielt“, erinnert sich die aus dem baden-württembergischen Bad Mergentheim stammende junge Frau an ihre Anfänge. „Viele andere Hobbys wie Tanzen oder Basketball haben gewechselt mit den Jahren. Aber das mit dem Theater habe ich nebenbei immer weitergeführt. Unbemerkt war Theater eigentlich schon immer die Konstante in meinem Leben.“

Von der Theatergruppe in der Grundschule und der Theater AG im Gymnasium bis hin zum Studententheater. „Bis der Leiter einer Off-Bühne in Würzburg mir vorschlug, ich solle es doch mal bei einer Schauspielschule versuchen.“ Das dritte Vorsprechen war dann gleich ein Volltreffer: Das Mozarteum in Salzburg nahm sie auf. Das von musikalischer und Körper-Erziehung dominierte Studium dort hat sie deutlich geprägt. „Auch wenn Sprache für mich natürlich nach wie vor zentral ist.“

Bei ihrem ersten Engagement an den Kammerspielen kommt ihr die Betonung des Körperlichen sehr zugute. Egal, ob in dem von Pinar Karabulut poppig-bunt inszenierten „Like Lovers do (Memoiren der Medusa)“, Michiel Vandeveldes „Joy“ oder der aktuellen Produktion „An imperfect Utopia“ von Noemi Berkowitz – die zierliche, fast schon verstörend gelenkige Edith Saldanha verleiht ihren Figuren nicht nur durch ihre markante, unverwechselbare Stimme stets neuen, facettenreichen Ausdruck, sondern auch wenn sie scheinbar völlig unangestrengt über die Bühne schreitet, tanzt, kriecht oder klettert. Ihr dabei zuzusehen, ist immer eine Freude. Egal, wie kompliziert oder sperrig die Figuren auch sein mögen.

Premiere

von „Im Menschen muss alles herrlich sein“ an diesem Samstag, 20 Uhr; Karten: 089/ 23 39 66 00.

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