Vielsagend ist dieses Plakat: Der alte weiße Mann, mit Glatze, gesichtslos, hat sich den Finger zum Schweigen auf den Mund gelegt, während um ihn herum farbenfroh ein fantasievolles Leben pulsiert, aus Schornsteinen rosa Rauch emporsteigt, Worte aus dem Grün erwachsen, während Kleingeld klimpert und eine Schildkröte durch ein Holzfenster lugt. „Jung, weiblich und divers wird heuer unser Programm“, verspricht Tanja Graf, Chefin des Literaturhauses, „alte weiße Männer werden in der Minderheit sein“. Die Rede ist vom 14. Literaturfest, das heuer vom 15. November bis 3. Dezember steigt und für das man sich als Freund von Büchern, klugen Gedanken und guter Unterhaltung besser einige Tage und Abende im Kalender freihält.
Das Herzstück des Festes ist wie immer das Forum. Es wird heuer vom Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss kuratiert. Der Büchner-Preisträger hat einen überraschenden, facettenreichen Schwerpunkt gesetzt. Ausgehend von seinem 96-Seiten-gedankenstarken Büchlein „Vaters Kiste“ möchte Bärfuss Hinterlassenschaften aller Art beleuchten – und unseren Umgang damit. Es geht also ums Erbe, ums Erben und darum, was wir dereinst vererben wollen. „Im Privaten wie im Gesellschaftlichen“, erklärt der 51-Jährige in schönster Schweizer Klangfarbe bei der Präsentation des Programms.
Und dann weitet sich plötzlich der Blickwinkel, die Perspektive, als Bärfuss weiter ausführt, wie breit, wie reich, wie komplex und auch emotional das Thema sein kann: Etwa, wenn die in Surinam geborene gefeierte niederländische Schriftstellerin Astrid H. Roemer ihre Familiensaga „Gebrochen-Weiß“ vorstellt, in der es um Wurzeln geht, um Identität und Herkunft. Das koloniale Erbe thematisiert Bärfuss mit der indischen Erzählerin Arundhati Roy, die auch die Festrede zur feierlichen Eröffnung des Literaturfestes am 15. November ab 19 Uhr im Haus der Kunst halten wird.
Die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk hatte im vergangenen Jahr das Forum kuratiert und dazu Bärfuss als „Gewissen im deutschsprachigen Raum“ eingeladen. Nun soll es eine neue Begegnung geben: In der LMU sprechen beide über das Erbe des Krieges, bevor Joachim Gauck, Bundespräsident a. D., in der großen Aula seine Gedanken zur Lage der Demokratie offenbart: Gerät sie ins Wanken? Wie wird die Zukunft? Und was bedeutet das überhaupt – politisches Erbe? Der Bogen reicht noch viel weiter: Es geht um Müll, das Thema Sprache auch in dem, was wir klassische Literatur nennen – was davon ist erhaltenswert, was kann weg?
Spannend dürfte auch der Abend werden, wenn die Erbin Marlene Engelhorn ein Tabu bricht und über das Vermögen spricht, das sie hat. Mehr noch, die österreichische Aktivistin hat ein Buch mit dem schlichten Titel „Geld“ geschrieben. Die Frage, welche Macht im schnöden Mammon steckt, diskutiert sie im Literaturhaus.
Die Liste der großen Namen, die sich heuer die Ehre geben, ist wahrlich lang: Julia Schoch kommt, es gibt eine Lyrik-Musik-Performance mit Michael Lentz – und, und, und. Im Festprogramm etwa stehen Neuerscheinungen des isländischen Autors Hallgrimur Helgason bis zum Münchner Bestsellerautor Daniel Kehlmann. Friedenspreisträger Navid Kermani stellt seinen lang erwarteten neuen Roman vor, gelesen von Eva Mattes.
Ins Haus der Kunst zieht heuer die Münchner Bücherschau ein – ein spannendes Umfeld für die Präsentation der unzähligen neuen Geschichten für große und kleine Bücherliebhaber. Platz gibt es reichlich und Autoren von Sebastian Fitzek, Harald Lesch bis zu Cornelia Funke und Ursula Poznanski geben sich die Klinke in die Hand.
Und es wird ein Speeddating der Independent-Verlage geben: Fünf Häuser stellen je drei Bücher vor und haben für die Präsentation jeweils zwei Minuten Zeit. Originell auch die Idee, vier Fantasy-Autoren beim Live-Rollenspiel zuzuschauen. Vergangenes Jahr wagte man Neues mit der Münchner Schiene. Und weil das so gut lief, geht dieser Teil des Literaturfestes in Serie, heuer kuratiert für die Monacensia. Der Höhepunkt? Eine Party mit Drag Show zu Ehren der legendären Volkskünstlerin Bally Prell (1922-1982). Wie das zusammenpasst? Hingehen, reinschauen und einfach mitreißen lassen!
Das komplette Programm
und Tickets unter literaturfest-muenchen.de.