Sie sollen ja beruhigende, eine gar schmerzstillende Wirkung haben, die Blätter der Lindenblüte. Doch derart viel Tee könnten diese beiden Schwestern gar nicht in sich hineinkübeln, um das zu betäuben, was ihr Zofendasein ihnen antut. Deshalb bereiten Claire und Solange das Heißgetränk für die gnädige Frau vor – rühren ordentlich Gift unter, weil sie keinen anderen Ausweg sehen. Ihr Hass auf sie ist so groß, wie die Vorhänge auf der Bühne des Münchner Volkstheaters lang sind – und ihre Abhängigkeit ist es auch.
Die beiden betreten eine verkehrte Welt, sobald die Dame des Hauses selbiges verlassen hat: Sie tragen die Kleider und den Schmuck der Chefin und übernehmen abwechselnd deren Rolle – in einem bizarren Spiel aus Macht und Unterwerfung, aus Anschaffen und Ausführen. Das Mordkomplott, das Claire und Solange erdenken, soll ihre Exit-Strategie sein. Doch gibt’s überhaupt ein Entrinnen?
Mitnichten, macht bereits Jessica Rockstrohs Bühnenbild klar. Für Lucia Bihlers Inszenierung von Jean Genets Drama „Die Zofen“ (1947) hat sie ins Zentrum des silbern prunkenden, symmetrisch eingerichteten Spiegelsaals ein Karussell gebaut. Das verspricht zwar netten Spaß und Zeitvertreib – doch ein echtes Fort- und Weiterkommen gibt’s hiermit nicht, egal, wie rassig gebaut die Rösser sind.
Bihler, die am Haus zuletzt 2019 „Hedda Gabler“ – ebenfalls zum Saisonauftakt – eingerichtet hat und heuer mit einer Arbeit vom Burgtheater zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen war, wählte einen hoch konzentrierten, optisch wuchtigen und stark stilisierten Zugriff auf den Stoff. Dadurch betont die Regisseurin die Künstlichkeit aller Verhältnisse, letztlich also auch deren Veränderbarkeit.
Am Freitag war Premiere, und je intensiver in diesen 100 Minuten das Rouge auf den Wangen von Claire und Solange erstrahlt, desto klarer wird seine Falschheit: Die Schwestern bleiben verhaftet in ihren gesellschaftlichen Rollen, zig Gründe gibt’s immer wieder, um den Mord an der Herrin (und damit den radikalen Ausbruch aus dem Dienstbotendasein) aufzuschieben.
Die Zofen haben sich ganz gut arrangiert, die bizarren Rollenspiele, die sie treiben, sind notwendiges Ventil, um ihre Pein zu lindern. Jakob Immervoll und Lukas Darnstädt zeigen das mit großer Intensität und einer herrlich komischen, am Stummfilm geschulten Körperlichkeit und Mimik. Bei aller Freude am Crossdressing vergessen sie nie die Not ihrer Figuren, aus der dieser ganze Spaß erwächst. Jacob Suskes atmosphärisch-düstere Soundwolken unterstreichen das zusätzlich.
Mit dem Auftritt der Hausherrin ändert Bihler vorübergehend Tonlage und Tempo ihrer Inszenierung. Silas Breiding gibt lustvoll die ganz, ganz große Diva, inklusive Gesangsauftritt über die Showtreppe. Lediglich als das Trio dann die Stangen des Karussells ausgiebig zum Poledance nutzt, droht der Abend zu verflachen: viel Futter fürs Auge, gewiss, aber recht wenig fürs Hirn.
Doch bremst die Regisseurin ihre Mannen rechtzeitig – und rückt einen weiteren Aspekt in den Fokus. Denn so, wie sich die Menschen auf der Bühne permanent spiegeln, tut dies auch der Boss in ihren Zofen. Gnädige Frau nämlich wirkt ebenfalls sauber abhängig – vom gnädigen Herrn. Das herauszuarbeiten, ist Silas Breidings besondere Leistung. Jakob Immervoll wird danach in einem starken letzten Auftritt seine Claire begreifen lassen, dass – zumindest für sie – diese fürchterliche Karussellfahrt nur mit Gewalt gestoppt werden kann. Es ist die traurig-leise Erkenntnis eines knallig-grellen Abends.
Auf diesen Spielzeitstart am Volkstheater sollte man also unbedingt anstoßen. Aber bitte nicht mit Lindenblütentee. Heftiger Applaus.
Nächste Vorstellungen
am 4., 5. und 22. Oktober; Telefon 089/523 46 55.