Abgeschiedenheit, Ruhe. Und das Meer. Die Gegend, in der der Dramatiker Jon Fosse aufgewachsen ist, sagt viel über den Menschen Jon Fosse aus. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in einem Dorf an einem Fjord an der Westküste Norwegens. Hier fand er Inspiration für seine Prosa und die Theaterstücke, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden sind und die seit Mitte der Neunzigerjahre auf den Bühnen weltweit aufgeführt werden. In München inszenierte etwa Luc Perceval 2002 die deutschsprachige Erstaufführung von „Traum im Herbst“ an den Kammerspielen – „eine Aufführung, die einem zweiten Besuch uneingeschränkt standhält“, bilanzierte unsere Kritikerin. Seine Landsleute feiern Fosse als den erfolgreichsten norwegischen Dramatiker seit Henrik Ibsen (1828-1906). Gestern wurde er nun mit dem Literaturnobelpreis geehrt.
Trotz der Berühmtheit zieht Fosse auch als Erwachsener die Stille kleiner Orte dem Trubel der Städte vor. Seine Rückzugsorte sind unweit von Bergen oder aber das österreichische Städtchen Hainburg an der Donau, wo er mit seiner slowakischen Frau zeitweise lebt, um nah an ihrer Heimat zu sein. Es ist seine dritte Ehe, insgesamt hat Fosse fünf Kinder.
Der Norweger selbst ist am 29. September 1959 an besagter fjordgeprägter Westküste geboren. Die Sprache – sei es in Lyrik, auf der Bühne oder in anderen Texten – nimmt einen zentralen Platz in seinem Schaffen ein. Den Werken haftet oft etwas Melancholisches, Düsteres und Mystisches an. Zuletzt erschien auf Deutsch im vergangenen Jahr bei Rowohlt „Ich ist ein anderer“ – der Autor erweise sich hier einmal mehr als „Poet der Lakonie und Philosoph der Schlichtheit“, urteilte unsere Zeitung.
Nach dem Debüt „Rot, Schwarz“ (1983) veröffentlichte Fosse Romane, Gedichte, Essaysammlungen und Kinderbücher. Das Religiöse, Mystische in seinem Schreiben gründet tief in ihm selbst. Nach dem Austritt aus der protestantischen Kirche gehörte er erst den Quäkern an, dann trat er 2013 zum Katholizismus über. Von diesem Wechsel erzählt er unter anderem in dem 2015 in Norwegen erschienenen Buch „Geheimnis des Glaubens“.
Der 64-Jährige hat bereits eine Fülle an Büchern geschrieben und ist vielfach ausgezeichnet worden. Sein erstes Drama auf Deutsch, „Der Name“, brachte ihm den Ibsen-Preis und den österreichischen Theaterpreis ein. Erfolgreich waren – neben „Traum im Herbst“ – unter anderem seine Stücke „Die Nacht singt ihre Lieder“ und „Todesvariationen“. Doch die öffentlichen Auftritte, die auch mit dem Schaffen am Theater verbunden sind, belasteten ihn. Dem Druck hielt er früher nur mit Alkohol stand; als er den Konsum nicht mehr kontrollieren konnte, hörte er auf zu trinken – und öffentlich aufzutreten.
In den vergangenen Jahren widmete sich Fosse mehr der Prosa, aber auch seiner Lyrik. Seit 2011 kann sich der Schriftsteller zum Schreiben übrigens an einen ganz besonderen Ort in seiner Heimat zurückziehen. Norwegen hat seinen berühmten Bürger mit der staatlichen Künstlerresidenz „Grotte“ am Rande des Osloer Schlossparks beehrt. Das Haus, das ursprünglich dem Dichter Henrik Wergeland (1808-1845) gehörte, wird seit dessen Tod jeweils einem bedeutenden norwegischen Künstler auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt.