Klassik für Millionen

von Redaktion

Andreas Schessl über den 40. Geburtstag seines Unternehmens Münchenmusik

Begonnen hat alles mit einer Mini-Reihe in der Münchner Blutenburg. Heute ist Andreas Schessl mit seinem Unternehmen Münchenmusik einer der größten Konzertveranstalter Europas. Schessl, Jahrgang 1961, ist schwer vorbelastet: Ururonkel Johann Nepomuk Schessl (1839-1908), Musikalienhändler und Zitherspieler, organisierte bereits Konzerte, viele Familienmitglieder wurden Profimusiker. Zum 40. Geburtstag von Münchenmusik blickt Schessl zurück – und aufs aktuelle Konzertleben.

Was war das erste Musikstück, das Sie veranstaltet haben?

Das war am 8. April 1984. Aber welches Stück? Auf jeden Fall ein Streichquartett. Es spielte das Koeckert-Quartett – mit meinem Vater, dem Bratscher Franz Schessl.

Wenn Sie jetzt noch einmal beginnen würden: Hätten Sie denselben Erfolg? Hätten Sie die Chance, so zu expandieren? Wohl nicht, weil Sie an einem Menschen wie Andreas Schessl nicht vorbeikämen.

(Lacht.) Als ich als Veranstalter startete, war die Hauptreaktion ein zwar wohlwollendes, aber mildes Lächeln. Denn schon damals war klar: Der Markt ist voll mit Größen wie Concerto Winderstein, der Konzertdirektion Hörtnagel oder Bell’Arte. Vielleicht lag es an der Offenheit auch den Genres außerhalb der Klassik gegenüber, dass unser Unternehmen Fuß fassen konnte. Das war neu für München, und dafür wurde ich auch kritisiert. Außerdem bekam ich anfangs nicht die großen Namen. Also versuchte ich, Lücken zu besetzen.

Und wie kommt man an die großen Namen? Man kann ja Cecilia Bartoli nicht einfach anrufen.

Nein. Natürlich arbeitet man sich hoch. Viel läuft außerdem über Agenten, die auf einen aufmerksam werden. Oder über Mundpropaganda in Künstlerkreisen. Ich habe immer auch bewusst mit jungen Künstlern gearbeitet, die noch keinen großen Namen hatten – damals zum Beispiel mit Cecilia Bartoli. Oder mit Lang Lang, der seinerzeit vor nur 600 Besuchern im Prinzregententheater spielte.

Vor dem Hintergrund Ihrer Familiengeschichte: Hatten Sie überhaupt die Chance, etwas außerhalb der Musik zu machen?

Nun, zumindest ausübender Musiker bin ich nicht geworden. Daran hätten meine Eltern schon Freude gehabt – mein Bruder Mathias Schessl wurde ein sehr guter Bratscher und spielt im BR-Symphonieorchester. Als Veranstalter war ich anfangs das schwarze Schaf der Familie. Ich habe Klavier und Horn gelernt, Letzteres auch studiert. Für mich war bald klar, dass dies nicht mein Weg sein würde.

Weil Sie sich auf Dauer nicht in einem Orchester hätten unterordnen können? Weil Sie lieber Ihr eigener Herr sind?

Ich glaube, ich hätte mich nicht unterordnen können. Wobei ich das nicht grundsätzlich meine. Und ich glaube, ich wäre nicht talentiert genug gewesen, wie mein Bruder oder mein Vater, um in einem Spitzenorchester zu spielen. Ich beneide meinen Bruder darum, dass er auf diesem Niveau spielen darf. Mit meinem Gesamtpaket bin ich aber mehr als zufrieden.

Sie waren einige Zeit in den USA. Was kann man von diesem Musikbiotop lernen? Oder sind die Verhältnisse nicht vergleichbar mit unseren?

Die Szene dort ist komplett privat organisiert, also sehr anders. Man sieht, dass man auch ohne Subventionen viel auf die Beine stellen kann. Not kann auch sehr erfinderisch machen, es gibt dort viel Kreativität. Wobei ich nicht der Meinung bin, dass die Kultur keine Subventionen braucht. Die andere Sache: In den Neunzigerjahren gab es in den USA eine viel größere Offenheit in musikalischer Hinsicht als in Europa.

Verengt sich das Repertoire generell immer mehr auf die Hits?

Ja, keine Frage. Das hat zu tun mit der Verankerung der klassischen Musik in der Bevölkerung. Dabei spielen Elternhaus, Schule oder Ausbildung eine Rolle. Trotzdem ist man ab und zu überrascht, dass das Publikum plötzlich ihm unbekannte Dinge annimmt. Das kann zum Beispiel von einer starken Persönlichkeit wie Martin Grubinger abhängen. Dass ein ganzer Schlagzeug-Abend ausverkauft ist, hätten sich früher viele nicht vorstellen können. Erst recht, wenn nur Werke von Iannis Xenakis gespielt werden. Wir brauchen also entsprechende Persönlichkeiten, die das transportieren, was wir dem Publikum vermitteln wollen. Und ganz allgemein brauchen wir klassische Musik, die für die Menschen verständlich und gut konsumierbar ist. Wir dürfen nicht verschrecken.

Inwieweit müssen Sie Ihre Eintrittspreise überdenken etwa vor dem Hintergrund der Inflation?

Wir müssen das beobachten. Und man versteht, dass bei den Menschen momentan das Geld nicht so locker sitzt. Gleichzeitig haben wir bei den Preisen zunehmend weniger Spielraum, auch weil manche öffentlichen Träger die Mieten für ihre Säle drastisch erhöht haben.

Es wird geklagt, das Klassik-Publikum werde kleiner. Muss man tatsächlich mehr kämpfen als früher?

Das Publikum ist nicht kleiner geworden, aber es verändert sich ständig. Und: Es gibt Lebensphasen, in denen bestimmte Interessen wichtiger sind – oder in denen man überhaupt die Möglichkeit hat, ins Konzert zu gehen. Man muss sich auf dieses heterogene Publikum einstellen. Und darf sich etwa nicht darüber beschweren, dass jemand nach jedem Symphoniesatz klatscht. Es ist vielleicht jemand, der noch nicht alles über die Klassik weiß, aber seiner echten Begeisterung Ausdruck verleiht.

Wie viele Ihrer Konzerte besuchen Sie selbst?

Ich gehe sicherlich in 200 bis 220 Konzerte pro Jahr, auch in unsere Ausstellungen, und höre mir noch Abende anderer Veranstalter an. Im Urlaub ist es mir dann am liebsten ohne Musik. Die Sommerpause hat etwas wahnsinnig Positives – ich bin keiner, der auch noch zu jedem Festival fährt. Ich möchte wieder ausgehungert sein für das, was in der nächsten Saison kommt.

Wie haben sich die politischen Rahmenbedingungen verändert? Schwindet das Bewusstsein für die Kulturszene auf beängstigende Weise?

Corona hat uns gezeigt, wo wir als Klassik stehen, auch wenn der Staat über Corona-Hilfen viel getan hat. Aber grundsätzlich war das für viele ein böses Erwachen. Wir haben erfahren, dass wir ein absolutes Nischendasein führen und mehr tun müssen, um Breitenwirkung zu erzielen. Dafür reicht ein Open-Air im Sommer eben nicht aus. Die großen Namen in der Kulturszene sind unterm Strich nur drei Prozent der Bevölkerung ein Begriff – und das definieren wir dann als weltberühmt. Das tut einerseits weh. Andererseits zeigt es, woran wir arbeiten müssen und dass wir uns, wieder mit Blick auf die USA, auf unsere eigenen Hinterbeine stellen müssen. Man muss sich Relevanz immer wieder erkämpfen.

In welchen Münchner Sälen werden Sie und/oder Ihr Sohn Nepomuk Schessl denn 2035 Konzerte veranstalten?

2035 ist gut gewählt, weil der Gasteig angeblich 2033 fertig renoviert sein soll… Es ist absolut notwendig, dass sich Stadt und Staat gemeinsam überlegen, was München überhaupt braucht. Bisher scheint mir das noch nicht abgestimmt zu sein. Ich wünsche mir, dass es eine Gasteig-Philharmonie im neuen Glanz und mit besserer Akustik gibt. Und ich hoffe, dass es ein Konzerthaus gibt. Ich denke, dass die Isarphilharmonie für Repertoirebereiche außerhalb der Klassik noch da sein wird und eine interessante Ergänzung sein könnte.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Die Jubiläumssaison

startet an diesem Sonntag, 15 Uhr, mit den Wiener Philharmonikern und Daniel Harding im Herkulessaal; Karten unter

Telefon 089/ 93 60 93.

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