Eigentlich heißt Ulrike Sterblich Ulrike Fiebrandt. Doch die Berliner Autorin ist schlau. Und gibt uns allein durch ihren Künstlernamen auf dem Buchdeckel einen Wink mit: Hey Leser, vergiss nicht, dass du sterblich bist!
Jetzt kann man angesichts des Memento mori verzweifeln und über die Sinnlosigkeit des irdischen Daseins philosophieren, da doch am Ende ohnehin alles zu Staub zerfällt. Oder man zieht die gegenteilige Konsequenz. Und führt sich vor Augen, dass erst die Sterblichkeit den Clou des Lebens ausmacht. Denn Ende in Sicht heißt ja immer auch: aus der Strecke bis dorthin rausholen, was geht.
Was geht? In unserer globalen Welt sehr viel. Zu viel? In ihrem im besten Sinne wundersamen Roman „Drifter“ hinterfragt die Schriftstellerin das Meer an Reizen, von dem wir modernen Menschlein uns regelmäßig überfluten lassen. Wie wir uns abstrampeln. Immer dabei sein wollen. Immer Neues konsumieren. Immer noch mehr Wissenslücken entdecken und zu stopfen versuchen. All die Bücher, die gelesen, all die Filme, die gesehen, all die Serien, die gebingewatcht werden könnten. Und dann der Endgegner: die Fitnessuhr. Die wir uns freiwillig umschnallen, damit uns eine Maschine ständig ein schlechtes Gewissen macht. Wenn das Tagesziel an Bewegung wieder nicht erreicht ist, zum Beispiel. 10 000 Schritte gehen – und doch nicht ankommen.
Virtuos lässt Sterblich die Herausforderungen unserer Zeit in all ihrer Skurrilität in die Geschichte einfließen. „Drifter“ erzählt von Menschen, die dahindriften. Mit fabulösen Namen wie Wenzel Zahn oder Marco Killmann. Die vom Blitz getroffen werden im übertragenen wie im wahren Sinne. Deren Alltag sich dadurch irgendwie verschiebt. Mirakulöse Wesen wie Lodovica Malabene verändern einer Pippi Langstrumpf gleich Wenzels und Marcos und noch vieler anderer Menschen Leben. Oder nur ihre Sicht darauf?
Was ist Fiktion, was Realität? Und inwieweit wird das eine ständig von dem anderen eingeholt? Der Roman, für den Sterblich auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht, entfaltet seinen Sog durch die Undurchsichtigkeit. Je surrealer die Handlung wird, desto mehr verliert man sich darin wie in einem Traum. Jener Art von Traum, der nicht nur schön ist, sondern auch ein bisschen Angst macht. Aber den man gern weitergeträumt hätte. Denn mittendrin fühlt man sich: plötzlich hellwach.
Ulrike Sterblich:
„Drifter“. Rowohlt, Hamburg, 288 S.; 23 Euro.