Die Kunst der Freiheit

von Redaktion

INTERVIEW Rosa von Praunheim über seine Malerei, die er nun in München zeigt

Es war ein Skandal: Kunst mit sexuellen Inhalten, ausgestellt in der Nürnberger Kulturkirche St. Egidien. Der 80-jährige Regisseur, Künstler und Autor Rosa von Praunheim befasst sich in den Werken besagter Ausstellung „Jesus liebt“ mit Glaube und Sexualität. Wie berichtet, wurde die Schau nach massiver öffentlicher Kritik vorzeitig beendet. Bis 30. Oktober ist sie nun in der Kunstbehandlung in München, Müllerstraße 40, zu sehen. Zur Vernissage heute Abend, 19 Uhr, wird Praunheim, ein Wegbereiter der queeren Bewegung in Deutschland, aus Berlin erwartet. Wir sprachen mit ihm vorab am Telefon über seine Arbeit, Kirche, Glauben – und den ständigen Kampf für Freiheit.

Wie sehr hat Sie als schwuler Mann die katholische Kirche geprägt?

Ich bin in den Fünfzigern katholisch erzogen worden, da war ja schon Onanieren verteufelt und Sex mit Höllenstrafen besetzt, Homosexualität erst recht. Das hat die Menschen stark beeinflusst, hat aber Sex gleichzeitig noch interessanter gemacht. Durch das Verbot wurde die Fantasie umso mehr beflügelt.

Hatten Sie selbst wirklich Höllenängste?

Na ja, wenn einem als Pubertierender mit der Hölle gedroht wird, ist das natürlich schrecklich. Die Pfarrer waren unheimlich autoritär. Ein Kind ist sehr beeinflussbar, erst später konnte ich diese Ängste loswerden. Aber eigentlich wird man sie nie los. Bis heute – als älterer Herr! – habe ich Schuldgefühle bezüglich Sex, wirkt die Gehirnwäsche nach.

Glauben Sie denn an Gott oder etwas Höheres?

Ich bin allesgläubig. Ich glaube genauso an die Kirche der Atheisten wie an die der Buddhisten oder Hindus. Vor einigen Jahren habe ich einen Film über die Entstehung von Religion gemacht. Darin sagt jemand: Unsere Energie wird nach dem Tod zu intelligentem Wasser. Das finde ich eine schöne Idee, dass die Energie eines Menschen nicht verloren geht. Auf der anderen Seite sind wir wie Tiere und Pflanzen Computer, die irgendwann aufhören – und das war’s. Ein anderer Film von mir heißt „Gibt es Sex nach dem Tode?“ Auch das eine schöne Vorstellung.

Sie leben ja sowieso über Ihre Werke weiter.

Ach, da darf man sich keine Illusionen machen. Die meisten Künstler werden sehr schnell vergessen.

Was ist dann Ihr künstlerischer Antrieb?

Das ist was Unbewusstes, Mystisches in der Kunst, das einen antreibt. Während ich mit Ihnen spreche zum Beispiel zeichne ich.

Was zeichnen Sie?

Irgend so ein tierähnliches Geschöpf, das auf einer Welle reitet. Das sind Sachen, die aus meinem Unterbewusstsein rauskommen.

In der Malerei mag das so sein, bei Filmen gelingen Ihnen oft Skandale. Wie sehr kann man das planen?

Gar nicht. Ich hatte das Glück, dass ich durch „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ die Schwulenbewegung mit initiieren konnte. Er wurde 1971 auf der Berlinale gezeigt. Eine kleine linke schwule Minderheit mochte den Film und hat ihn verbreitet. Mehr als 50 Initiativen haben sich daraufhin gegründet. Insofern kann Film manchmal was bewegen. Planbar ist das nicht.

Wie sehr haben Sie bei „Jesus liebt“ den Skandal schon mitgedacht?

Auch dies: gar nicht. Ich habe das gemalt, wozu ich Lust hatte. Dass der Pfarrer den Mut hatte, die Bilder auszustellen, fand ich großartig.

Seit Jahrzehnten kämpfen Sie für die queere Szene. Wie sehr frustriert es Sie, dass immer noch nicht jeder damit umgehen kann?

Ja, es ist ein ständiger Kampf. Aber es ist ja nicht nur der Kampf um freie Sexualität, sondern auch der Kampf um Frauenrechte, um Demokratie, der gerade heute mit dem Erstarken der AfD unheimlich wichtig ist. Mein neuer Film heißt „20 Jahre an der Peitsche“, es ist die Biografie einer Domina. Ich finde, das passt in unsere Zeit, in der Menschen sich masochistisch verhalten, unterordnen wollen. Sich nach einem Diktator sehnen, der ihnen befiehlt, was zu denken und zu tun ist. Und in der sie Demokratie, in der sie mit entscheiden dürfen, anscheinend ablehnen.

Warum ist das so?

Es ist sicher auch die Enttäuschung, dass wir eine schwache Regierung haben. Viele wünschen sich eben einen, der den starken Mann markiert. Deswegen liegt es mir am Herzen, dass sich gerade die Schwulen nicht einrichten in so einer Pseudo-Freiheit, nachdem sie viele Freiheiten bekommen haben – sondern dass sie sich weiter politisch für Minderheiten einsetzen, für Demokratie.

Was gibt Ihnen die Energie weiterzukämpfen?

Ja, was gibt mir die Energie, weiterzuleben? Ich war ein dummes Kind, bin dreimal sitzen geblieben, habe nicht mal die Mittlere Reife – und bin trotzdem Professor geworden, habe Regie-Studenten unterrichtet. Kreativität ist das, was ich an Positivem habe. Ich schreibe Gedichte, male, mache Filme, das ist meine Welt und es gibt noch mindestens 30 Projekte, die ich verwirklichen will.

Eins Ihrer Bilder heißt „Dürfen glücklich sein“. Sind Sie glücklich?

Ich bin eher ein Getriebener. Es gibt Momente, in denen ich plötzlich Glück verspüre. Komischerweise war das besonders häufig in Hollywood. Ich habe dort in einem Motel gewohnt, hab vom Zimmer aus auf den Pool mit Palmen geguckt, hatte ein kleines rotes Fahrrad, mit dem ich über den Hollywood-Boulevard gefahren bin, von Filmbuchhandlung zu Filmbuchhandlung – und da habe ich Glück gespürt. Es sind Momente. Doch die sind wunderbar.

Das Gespräch führte Katja Kraft.

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