Hier drückt man gern die Schulbank

von Redaktion

Die vierte Kinoversion von Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“

VON VERENA SCHMÖLLER

„Wie traurig und unglücklich Kinder bisweilen sein können“, schreibt Erich Kästner in „Das fliegende Klassenzimmer“. Das vergesse die Erwachsenenwelt viel zu oft. Deshalb erzählt der Schriftsteller auch genau von diesen düsteren Gefühlen – und nicht selten gehören seine Kinder- und Jugendbücher gerade deshalb zu den Lieblingen vieler erwachsener Menschen.

„Das fliegende Klassenzimmer“ erschien vor genau 90 Jahren und ist nun zum vierten Mal verfilmt worden. Das Drehbuch stammt von Gerrit Hermans, Regie hat die gebürtige Schwedin Carolina Hellsgård geführt. In ihrer Version ist die eigentlich zeitlose Geschichte diverser geworden, das Umfeld, in dem die Handlung um die Gruppe von Internatsschülern spielt, moderner und für das Zielpublikum nachvollziehbarer. Im Kern aber geht es um Kästners Themen, um Mut und Gerechtigkeit, Loyalität und Vertrauen, Zusammenhalt und Freundschaft.

Hier ist es aber nicht mehr eine reine Jungsbande, die da im Zentrum der Geschichte steht, sondern mit Martina (Leni Deschner) vor allem ein 13-jähriges Mädchen, das durch ein Stipendium einen Platz im Südtiroler Johann-Sigismund-Gymnasium bekommen möchte – auch um ihre alleinerziehende Mutter (Jördis Triebel) zu entlasten. Sie darf auf Probe ins idyllische Kirchberg ziehen und soll sich dort beweisen, gute Noten schreiben und sich entsprechend benehmen. Schnell jedoch gerät Martina mit der coolen Jo (Lovena Börschmann Ziegler), dem kleinen Uli (Wanja Valentin Kube) und dem gutmütigen Matze (Morten Völlger) in die Streitereien zwischen „internen“ Internatsschülern und sogenannten Externen, den Kindern aus dem Dorf, allen voran Ruda (Franka Roche), Tochter von Direktorin Kreuzkamm – und bricht schneller Schulregeln, als ihr lieb ist.

Kennern des Buches wird auffallen, dass also auch aus dem Schuldirektor eine Frau geworden ist – Hannah Herzsprung, deren Vater in der Verfilmung von 1973 den schönen Theodor gespielt hat, mimt diese in hervorragender Weise: herrlich altmodisch, ohne klamaukig zu wirken. Auch für das Duo aus Vertrauenslehrer Justus Bökh und Nichtraucher Robert hat der Film in Tom Schilling und Trystan Pütter starke Darsteller gefunden. Darüber hinaus gibt Regisseurin Hellsgård Musiker Schilling die Gelegenheit, mit der Gitarre zu glänzen und davon zu singen, wie man „mit Träumen fliegen“ kann. Allerdings wurde die Geschichte der zwei ehemaligen und nun erwachsenen Pennäler zugunsten des Konflikts zwischen den Kindern kondensiert, was ein wenig schade ist; gern hätte man noch mehr davon gesehen.

Trotzdem wird das Publikum viele Momente aus dem Buch wiedererkennen: Es geht um die Aufführung am Ende des Schuljahres, die medienangepasst erst einmal gefilmt, anstatt auf der Bühne geprobt wird; um Ulis Mutprobe ebenso wie die Selbstfindung von Matze. Die Kinderdarsteller machen ihre Sache sehr gut, sie spielen authentisch und vielschichtig und bieten Identifikationsflächen für Zuschauer ab zehn Jahren. Das besonders Schöne an der Neuverfilmung ist die starke Präsenz des (von Pütter in der Rolle des Robert gesprochenen) Erzählers – das bringt den Buchautor mit auf die Leinwand. Kästner, der in der ersten Verfilmung 1954 noch selbst als Erzähler auftrat, ist damit auch 2023 im Geiste mit dabei, und lässt einen wie automatisch nach dem Kinobesuch ins Regal zum Buch greifen – und erneut entdecken, wie aktuell seine Worte doch immer wieder sind.

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