Ben LaMar Gay aus Chicago eilt der Ruf voraus, ein vielseitig Begabter mit dem Hang zum Gesamtkunstwerk zu sein. Sein CD-Debüt von 2018 war eine Art akustische Pizza mit allem, ein im Studio aus Bruchstücken unterschiedlicher Traditionen und Stile zusammengepuzzeltes, live nicht reproduzierbares Sammelsurium. Für eine ordentliche Fangemeinde reicht’s, sonst wäre die Münchner Unterfahrt nicht so voll gewesen, wohin Gay ein Quartett mitgebracht hatte, das mit Gitarre, Sousafon (der riesigen Umhänge-Tuba aus New Orleans) und Drums originell instrumentiert war.
Es beginnt mit textlosem Gesang, eine Einstimmung, ehe Gay zum Kornett greift. Die Gitarre schrammelt atonal, die Tuba pumpt, das Schlagzeug treibt, eine Art uninspirierter Free-Jazz-Tumult entsteht. Dauert aber nicht lange, denn Gay stimmt ein Blues-Lamento darüber an, dass er allein ist, wenn er morgens aufwacht. Dazu lässt er seinen Synthesizer blubbern und fiepen, was ein wenig so klingt, als habe sich ein zweitklassiger Bluessänger in einen Spielzeugladen verirrt. Das mäandert vor sich hin, und während man schon denkt „Das wird heute nix mehr“, gibt es nach einer halben Stunde unvermittelt einen spektakulären Höhepunkt. Gay und zwei Mitmusiker, alle je eine Glocke unterschiedlicher Größe in der Hand, lassen ein perfekt aufeinander abgestimmtes kleines Kunstwerk entstehen. Es dauert auch keine fünf Minuten, dann singt Gay „lalala“ (tatsächlich!), dudelt ein wenig auf dem Kornett, drei Holzflöten kommen ins Spiel, leider nicht so stimmig wie das Glocken-Intermezzo. Am Ende rundet sich nichts zum Gesamtkunstwerk, eher zum – wohlwollend bilanziert – unausgegorenen Ideen-Potpourri. REINHOLD UNGER