Ein neues Stück Welt

von Redaktion

Maxim Biller stellt seinen aktuellen Roman im Schumann’s vor

VON MICHAEL SCHLEICHER

Wäre dieser Samstagabend in der Schumann’s Bar am Hofgarten ein Cocktail, dann wäre das, was die Menschen in Israel – und die Juden in aller Welt – derzeit durchleiden müssen, der grauenhafte Bitterstoff, den wirklich keiner im Glas haben will und der dennoch penetrant vorschmeckt. Von einem „historischen Datum“ spricht daher auch Rachel Salamander, die Gründerin der Literaturhandlung, auf deren Einladung Maxim Biller seinen bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Roman „Mama Odessa“ in München vorstellt.

Eine Woche ist es da her, dass die terroristische Hamas ihren beispiellosen Angriff auf israelische Zivilisten ausführte, mehr als 1300 Menschen ermordete und mindestens 150 – darunter Frauen, Kinder, Säuglinge, Senioren – in den Gazastreifen verschleppte. Dieser Überfall werde sich in die „jüdische Geschichte einschreiben. Wieder einmal geht es ums Ganze“, bilanziert Salamander bitter. Auch Biller zeigt sich nicht überrascht: „Diese Kräfte wollen nicht nur, dass es an der Grenze zwischen Gaza und Israel keine Juden mehr gibt, sondern auf der Welt.“

Traurig, das nun schreiben zu müssen: Aber umso wichtiger sind Abende wie dieser, für den Charles Schumann seine Bar ausnahmsweise am Samstag aufgesperrt hat; natürlich ist das Lokal übervoll. Die vielen Menschen, die gekommen sind, um Biller lesen zu hören, wären – um im Bild des Cocktails zu bleiben – die Süße, die fein die Geschmacksnerven umspielt. Es sei schon auch die „Rückkehr des verlorenen Sohnes“, meint der Autor, dessen Freundschaft mit dem Barkeeper mindestens bis in seine Zeit beim legendären Magazin „Tempo“ (1986-1996) zurückreicht. „20 Jahre habe ich hier gewohnt, und ein bisschen tu ich es noch immer“, verrät der Schriftsteller, der 1960 in Prag geboren wurde.

Die weiteren Ingredienzien des kurzweiligen, bedenkenswerten Auftritts sind: „Mama Odessa“ (eh klar!), eine Mutter-Sohn-Geschichte, die aufgrund der Prägnanz ihres Stils und der kraftvollen Erzählung wirkt; die charmante Art des Journalisten Andrian Kreye, der Biller befragt; deren gemeinsames Vortasten im Reden über Literatur; vor allem aber die pointierten Gedanken des Autors, plaudernd präsentiert. Ob’s nun um die Unterscheidung von Roman und Realität geht (simpel!), ums große Werk von Isaac B. Singer (1902-1991), um die Poesie der deutschen Sprache („floskelloses Deutsch“, zwingend!) oder um den Rollsplit in München an einem Sonntagvormittag im Nebel (Sie wissen Bescheid). Über sein Schreiben sagt Biller: „Es entsteht, wenn man Glück hat, ein neues Stück Welt.“ So auch an diesem Abend.

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