Schall und Rauch

von Redaktion

PREMIERE Henrik Ibsens „Peer Gynt“ im Münchner Residenztheater

VON KATJA KRAFT

Er will ganz nach oben. Und plumpst am Ende doch nur auf sein Hinterteil. Ein opportunistischer, schmeichlerischer, von der Unbesiegbarkeit der Jugend bestärkter Blender ist der junge Peer Gynt, als der Max Rothbart über die Residenztheater-Bühne tänzelt. „Ganz da oben, hoch überm Meer werd ich im Flug noch über Englands Prinz erhoben!“, ruft er übermütig, den Zeigefinger gen Himmel, die Augen glänzend von seiner Vision einer goldenen Zukunft. Doch kaum dass er’s gerufen, fällt er auf den Bühnenboden. Peng. Rappelt sich auf. Boing. Stürzt wieder hin. Krach. Die Drum Machine von Hans Könnecke kommentiert das Geschehen unablässig. Und ist damit der Antriebsstoff für Sebastian Baumgartens gut geölte Inszenierung von Henrik Ibsens Drama. 1867 geschrieben, 1876 uraufgeführt. Baumgarten nutzt als Textgrundlage die Übersetzung von Angelika Gundlach aus dem Jahr 2006. Eine gute Wahl: Gundlach gelingt es, die ganze Sprachkraft dieses „dramatischen Gedichts“ auch auf Deutsch zum Klingen zu bringen.

Baumgarten kann auf ein Ensemble vertrauen, das die Worte funkeln lässt. Carolin Conrad gibt eine zornige Aase, die sich von ihrem Sohn Peer nicht weiter blenden lässt. Vom verstorbenen Mann in den Ruin getrieben, von den Hirngespinsten ihres Filius angewidert. Das Leben – Schall und Rauch. So formuliert’s Gynt an einer Stelle selbst: „Was sind wir Menschen denn? Nur Schall und Rauch, die Anpassung an Sitte und an Brauch.“ Das ist ein Leitmotiv dieser Inszenierung. Ordentlich Schall gibt es auf die Ohren, durch viel Nebelrauch stochert sich die Hauptfigur – und findet doch nie zu ihrem inneren Kern.

Aufs Schönste spielt Baumgarten mit der ungebrochenen Anziehungskraft alter Theaterzaubertricks. Setzt darauf, wie der große Märchenkönig Peer Gynt es selbst in seinen falschen Geschichten tut. Da verschwinden die Figuren mit einem Sprung in den Bühnen- wie vom Erdboden; da wird der Knopfgießer (Lea Ruckpaul) durch synchrone Körperbewegungen zu Gynts Marionette; oder es wird dramatisch Schiffbruch erlitten – einfach nur dadurch, dass die Schauspieler mit verzweifeltem Gesichtsausdruck an einem weißen Bettuch zerren, darauf projiziert Videobilder einer rauen See. So simpel, so wirkungsvoll.

Subtext: Das hier ist alles nur ein großes Spiel, ein Märchen, eine Flucht. Ein Bluff, wie dieser gesamte Peer Gynt, den Florian von Manteuffel in Hälfte zwei – „30 Jahre später“ – hübsch selbstgerecht und vom Wohlstand feist geworden weiter im Nebel stochern lässt. Der wabert ja vor allem in ihm selbst. Durch Videoeinspieler, in denen Lukas Rüppel als Sigmund-Freud-Verschnitt das Verhalten der Hauptfigur psychologisierend analysiert, holt Baumgarten das Geschehen ins Jetzt, in dem das Individuum ständig in den Fokus gestellt wird. Und macht deutlich, wie heutig dieser Peer Gynt ist. Immer auf seinen Vorteil bedacht, passt er sich der Umgebung an; ist sogar kurz davor, nicht nur sprichwörtlich – Entschuldigung – die Scheiße der Trolle zu fressen, einzig um den Thron ihres Königs übernehmen zu können. Doch diese Anpassungsfähigkeit hat einen Haken: Wer seine Identität ständig wechselt, der verliert sich dabei selbst.

Ans Ende dieser von trockenem Witz durchzogenen, Konfetti-sprühenden, schnellen, kurzweiligen Inszenierung stellt Sebastian Baumgarten einen hoffnungsvollen Gesang: Vielleicht, so klingt es dort an, werden wir irgendwann erkennen, dass die Fixierung auf das goldene Kalb Individualismus in die Irre führt – weil wir einander radikal bedürfen.

Herzlicher Applaus.

Nächste Vorstellungen

morgen, 23. Oktober sowie am 3., 11., 20. November; Telefon 089/21 85 19 40.

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