Mit feiner Ironie

von Redaktion

Tonio Schachinger gewinnt in Frankfurt den Deutschen Buchpreis

VON KATJA KRAFT

Vielleicht merke man es ihm nicht an – aber er freue sich wirklich, betont Tonio Schachinger am Montagabend auf der Bühne im Kaisersaal des Frankfurter Römer. Gerade haben die Welt und er erfahren, dass der 31-Jährige für den Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden ist. Schachinger verzieht tatsächlich kaum eine Miene. Bedankt sich auch ganz bewusst nicht bei Jury und der den Preis vergebenden Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – „die machen doch nur ihren Job“ –, dafür aber bei seiner Frau Margit Mössmer, und bei ihr umso herzlicher. Denn von ihr habe er „alles gelernt, was ich weiß in diesem Leben“. Uneitel nutzt er seine Rede denn auch gleich dafür, den Zuschauern im Livestream und dem Publikum im Saal „Margits heuer erschienenen Roman ans Herz zu legen“. Dieser neue Roman seiner Frau heißt „Das Geheimnis meines Erfolgs“ (Leykam Verlag). Und was ist das Geheimnis seines Erfolges? Was macht sein Buch „Echtzeitalter“ zum Roman des Jahres? „Mit feinsinniger Ironie spiegelt Schachinger die politischen und sozialen Verhältnisse der Gegenwart“, befindet die Jury. Auf den ersten Blick sei „Echtzeitalter“ ein Schulroman – auf den zweiten aber viel mehr als das.

In dem Buch erzählt der österreichische Schriftsteller die Geschichte des Wiener Schülers Till. Mit dem snobistischen Umfeld auf seinem Elitegymnasium kann der Romanheld nichts anfangen. Seine Leidenschaft ist das Computerspielen. Ohne dass jemand aus seinem Bekanntenkreis davon wüsste, ist Till mit 15 schon eine Online-Berühmtheit, der jüngste Top-10-Spieler der Welt. „Schachingers Roman beschreibt das österreichische Wesen der gehobenen Gesellschaftsschicht: Die materielle Existenz ist gesichert, doch ein Hauch von Existenzialismus hinterfragt die Möglichkeit eines geglückten Lebens“, beschrieb es unser Kritiker.

Bereits Schachingers erster Roman, „Nicht wie ihr“, hatte es 2019 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Mit der Auszeichnung ehrt die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels seit 2005 jährlich den besten deutschsprachigen Roman des Jahres. Heuer konkurrierten neben Schachinger in der Endrunde wie berichtet Terézia Mora mit „Muna oder Die Hälfte des Lebens“, Necati Öziri mit „Vatermal“, Anne Rabe mit „Die Möglichkeit von Glück“, Sylvie Schenk mit „Maman“ und Ulrike Sterblich mit „Drifter“. Es überhaupt in die Shortlist geschafft zu haben, sei schon ein sehr, sehr großer Erfolg, betont Moderatorin Cécile Schortmann mit Blick auf die sechs Nominierten, die in der ersten Reihe sitzen und gespannt auf die Verkündung der Jury-Entscheidung warten. Tatsächlich konkurrierten in diesem Jahr 196 Romane von 113 deutschsprachigen Verlagen um die mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung. Jury-Mitglied Katharina Teutsch nennt die Herausforderung bei der Entscheidungsfindung für einen Roman „das Wald/Baum-Problem“. Jeden Baum – sprich: jedes nominierte Buch – hätten sie sich gründlich angeschaut. So sei schließlich mit der Shortlist ein Hain entstanden, ein Mischwald im besten Sinne. Doch für wen dann entscheiden? Wen aus diesem Bücherwald mit dem Prädikat „Roman des Jahres“ schmücken? Letztlich, betont Teutsch, gebe es keine festen Kriterien, seien solche Entscheidungen immer auch subjektiv.

Gewiss ist: Die sechs Nominierten werden auf dem Buchmarkt durch den Hinweis „2023 Deutscher Buchpreis Shortlist“ auf dem Einband ihren Absatz finden. Gerade Werke wie Rabes radikale Abrechnung mit der DDR und falscher Ostalgie in „Die Möglichkeit von Glück“ oder Öziris bitterherbe Auseinandersetzung mit dem eigenen Papa in „Vatermal“ hätten die Auszeichnung mindestens ebenso verdient.

Am Ende ist die Preisverleihung, die traditionell am Vorabend des Auftakts der Frankfurter Buchmesse stattfindet, vor allem ein deutliches Signal in diesen Tagen, in denen die Welt um uns herum immer mehr von Gewalt, Rechtsruck, Angst geprägt ist. „Dies ist ein wichtiger Abend, trotz oder gerade wegen der Weltlage“, sagt Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins. Denn durch Abende wie diesen wird die Literatur gefeiert. Und Literatur könne Empathie lehren, Menschen dazu bringen, sich mit der großen Welt oder den näherliegenden kleinen Kosmen auseinanderzusetzen. Genau deshalb hätten Fanatiker Angst vor Literatur – weil sie um die Kraft wissen, die Poesie und Fantasie in Menschen entfalten können. Am Sonntag wird Salman Rushdie zum Abschluss der Buchmesse mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Der 76-Jährige war im vergangenen Jahr attackiert worden und ist seither auf einem Auge blind. Er aber lässt sich nicht einschüchtern, baut weiter schreibend Brücken.

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