Brutaler Blödsinn

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Helge Schneider liest in München aus seinem Kriminalroman „Stepptanz“

VON ASTRID KISTNER

Man muss die fünf früheren Kriminalfälle des Kommissar Schneider nicht kennen, um die Ermittlungen im sechsten zu verstehen. „Stepptanz“, Helge Schneiders neues Werk der Kriminalliteratur, stellt an die Leserinnen und Leser eigentlich nur zwei Anforderungen: die Bereitschaft, wertvolle Lebenszeit geballtem Blödsinn zu opfern, und die Fähigkeit, sich bei der Lektüre den Schöpfer der abstrusen Zeilen auf Lesereise vorzustellen. Denn erst mit Schneiders Stimme im Ohr entfaltet „Stepptanz“ die Komik, die Fans des Musikclowns sonst vergeblich suchen.

„Kommissar Schneider versteht die Welt nicht mehr“ ist nicht nur der Untertitel des Buches, sondern auch der rote Faden, der sich durch diese dystopische Kriminalgeschichte zieht. Die puppenartige Leiche, mit der es der alte Haudegen zu tun bekommt, besteht aus „menschlichen Teilen und Elektronik“. Ein echtes Gehirn, dazu Drähte, Kondensatoren, Widerstände, die aus einer klaffenden Kopfwunde quellen. „Ich glaube, ich spinne“, konstatiert Yves Schneider, der noch nicht ahnt, dass ein genialer Chirurg und Elektrofachmann mit multipler Persönlichkeit Menschen um die Ecke bringt, zersägt und nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in seiner Gefriertruhe neu zusammensetzt. Die von ihm geschaffenen Hybriden, kurz „Hybs“ genannt, bevölkern die 192 Seiten, auf denen es derb zur Sache geht.

Helge Schneider lässt reichlich gewaltbereites Personal aufmarschieren: den tumben Totschläger Johnny Espelkamp etwa samt brutaler Mutter Espelkamp, die einem Uhrenverkäufer am Strand von San Remo mit ein paar gezielten Handkantenschlägen den Garaus macht. Den warnenden Satz „Nichts für schwache Nerven“ hat der Autor neben 18 Zeichnungen ins Buch gekritzelt. Und so verwundert es nicht, dass Johnny im Laufe der Geschichte von einem Bären gefressen wird und seine Mutter von einer 200 Meter hohen Klippe springt. Dabei rettet ihr ein zufällig geschickt platziertes Planschbecken das Leben. „Die alte Espelkamp hatte wieder unglaubliches Glück gehabt“, heißt es an dieser Stelle – nicht ohne anerkennenden Unterton.

Schneider ist zweifellos ein Meister darin, Phrasen und Plattitüden mit wilden Absurditäten und grotesken Zukunftsszenarien zu kombinieren. In „Stepptanz“ gibt es fast nur noch Elektroautos. Kommissar Schneider, der „sich wenig um sogenannte Umweltsachen kümmert“, bestellt sein Benzin mittlerweile übers Internet aus Indien und ist einer der Letzten, die noch eine Plastikflasche in der Hand gehalten haben. Stattdessen setzt man neuerdings auf Asbest-Flaschen, „die entgegen früherer Forschungsaussagen doch gesund sind“.

Das Schreiben von „Stepptanz“ sei ein brutaler Wettlauf zwischen seiner Story und der Realität gewesen, die ja in atemberaubendem Tempo voranschreite, sagt der Entertainer über seinen sechsten Krimi. Am Ende gewinnt diesen Wettlauf der Klamauk, der vor allem die überzeugen dürfte, die Helge Schneider als Multigenie feiern – und sogar für seine Bücher.

Helge Schneider:

„Stepptanz“. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 192 Seiten; 22 Euro.

Lesung: Helge Schneider stellt sein Buch an diesem Samstag, 19 Uhr, im Münchner Literaturhaus, Salvatorplatz 1, vor; Restkarten an der Abendkasse.

Der Klamauk siegt über die Realität

Artikel 4 von 9