Salman Rushdie ist zart von Gestalt, klug und vielleicht noch witziger und freier, wenn das überhaupt möglich ist – und wenn das die richtigen Worte sind. Vielleicht ist der 76-Jährige auch einfach entspannt und britisch, vielleicht eine Spur erschöpft. Er ist ein Überlebender und froh darüber. Drei Auftritte im Rahmen der Frankfurter Buchmesse gehören zu den ersten öffentlichen seit dem Messerangriff in Chautauqua im US-Bundesstaat New York im vergangenen August (wir berichteten). An diesem Samstag ist Rushdie bei der Literaturgala der Messe, am Sonntagvormittag wird er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Am Freitag gab es ein Pressegespräch.
Dort kam natürlich sofort die Frage, was er zur Situation in Israel sage und ob er Hoffnung für die Welt habe. Die Welt, sagte Rushdie, sei in einem schlechten Zustand. Er aber sei immer unvernünftig optimistisch gewesen. Das Schreiben selbst sei ein Akt des Optimismus: Jahre zuzubringen mit dem Verfassen eines Buches, dabei immer zu hoffen, dass es irgendwann irgendjemand lesen werde. Aber der Krieg? Er sei grundsätzlich gegen Krieg, der immer als Erstes Unschuldige und die Wahrheit zum Opfer habe. Die Taten der Hamas erfüllten ihn mit Entsetzen, mit Horror, und er fürchte die möglichen Reaktionen Netanjahus.
Und solle man Koranverbrennungen verbieten? „Sie werden nicht überrascht sein, dass ich gegen Bücherverbrennungen bin.“ Rushdie erinnerte daran, dass sich das berühmte Heine-Zitat („Dort, wo man Bücher verbrennt…“) in dessen Stück „Almansor“ auf den Koran bezieht. Doch auch in Deutschland müsse man nicht weiter erklären, was auf Bücherverbrennungen folge. Ein Gesetz gegen Koranverbrennungen hingegen behage ihm nicht, bei solchen Regulierungen sei er einfach skeptisch.
Was Literatur angesichts der Weltlage ausrichten könne? „Literatur zeigt die Welt als reichen und komplexen Ort und damit als das Gegenteil eines engen und rigiden Blicks.“ Vielleicht ändere das schon etwas. Das Besondere an Literatur sei gleichwohl, dass sie keinen Nutzen habe („,Alice in Wonderland‘, ,Mrs Dalloway‘, das nützt doch nichts“) und auch keinen Nutzen haben müsse. „Ich mag keine Bücher, die mir sagen, was ich denken soll. Ich mag Bücher, die mich dazu bringen nachzudenken.“
Was entgegnet er jüngeren Autorinnen und Autoren, die den Eindruck haben, nicht mehr frei schreiben zu können in Zeiten von „Cancel Culture“ und „kultureller Aneignung“ bis hin zu politischen Drohszenarien? Rushdie erklärte: Ja, er sehe dieses Zögern bei Jüngeren, und es beunruhige ihn. „Jeder kann über alles schreiben. Die einzige Frage muss sein, ob es gut ist oder nicht.“ Schränke man sich ein, sei das das Ende der Kunst. Beim Schreiben gehe es darum, eine Welt zu erfinden, die nicht die eigene, vertraute ist.
Wie schätzt er die Gefahr für Demokratien insgesamt ein? Die Lage in den USA sei angesichts der Trump-Jahre bedenklich, Indien entwickele sich schlecht, der wachsende Personenkult sowie all die „Mini-Trumps“ seien problematisch. Jedoch liege er mit Vorhersagen generell falsch, eigentlich sei bisher immer genau das Gegenteil passiert.
Bereitet ihm als Autor die Künstliche Intelligenz (KI) Sorgen? Kürzlich habe die KI den Auftrag bekommen, im Rushdie-Stil zu schreiben. „Das Ergebnis war totaler Müll.“ Jeder merke sofort, dass der Text nicht von ihm sein könne, insofern halte sich seine Besorgnis mit Blick auf das geschriebene Wort in Grenzen. Gefährlicher findet der Schriftsteller aktuell die Möglichkeiten der perfekten Stimmimitation durch KI.
Rushdie sagte, er fühle sich geehrt durch die Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. „Ich freue mich auf die Kirche am Sonntag“, meinte er mit Blick auf die Paulskirche, wo die Preisverleihung um 11 Uhr stattfindet, und fügte hinzu: „Seien Sie versichert, einen solchen Satz haben Sie noch nie von mir gehört.“ » KOMMENTAR