Bei den Musicalfans hatte die Ankündigung des „Medicus“ im Deutschen Theater anfangs für Verwirrung gesorgt. Schließlich handelt es sich bei der aktuellen Produktion doch eben nicht um jene von vielen erwartete Version aus Fulda, die 2018 an der Schwanthalerstraße zu sehen war. Stattdessen erwartet einen diesmal die deutschsprachige Erstaufführung eines spanischen Musicals von Komponist Iván Macías, die nach einem Umweg über Brünn nun in München angekommen ist.
Ein Umstand, der natürlich zu Vergleichen einlädt. Und um es gleich vorwegzunehmen: Auch in der neuen Adaption müssen Fans der Buchvorlage von Noah Gordon sich auf einige Kompromisse gefasst machen. Denn selbst mit einer epischen Laufzeit von beinahe dreieinhalb Stunden tut sich gerade im zweiten Teil aufgrund zahlreicher Sprünge das eine oder andere Logikloch auf, das sich ohne vorherige Kenntnis des Romans nur schwer füllen lässt.
Das fällt umso mehr ins Gewicht, weil die endlosen Duette zwischen dem Titelhelden und seiner Liebsten nach der Pause zunehmend redundant klingen und man hier gut Zeit für die Entwicklung der nicht gerade unwichtigen Nebenfiguren hätte sparen können. Darunter leidet vor allem Robs Idol, der persische Gelehrte Avicena. Alexander Bellinkx bekommt bei seinen kurzen Auftritten nur wenig Zeit, einen echten Charakter zu formen, zieht sich aber ähnlich souverän aus der Affäre wie der stimmgewaltige Chris Murray als Schah.
Zugegeben, es ist nicht leicht, die rund 800 Seiten lange Geschichte in einen kompakten Musicalabend zu verpacken. Immerhin folgen wir dem Titelhelden über mehrere Jahrzehnte. Von seiner traurigen Jugend als Waisenkind auf den Straßen Londons bis hin zu seinen Abenteuern in Isfahan, wo er als Jude verkleidet die Kunst des Heilens erlernen möchte. Im ersten Teil funktioniert die Sache eigentlich noch ganz gut. Das liegt vor allem an Jana Luisa Band, die den vom Schicksal gebeutelten jungen Titelhelden mit viel Elan verkörpert und die Balance zwischen Melancholie und kindlichem Optimismus souverän meistert. Dies tritt vor allem in den Szenen mit Robs erstem Lehrmeister zutage, einem verschlagenen Bader, den Lénárd Kókai mit einer gesunden Portion Selbstironie ausstattet.
Die Chemie stimmt bei ihm allerdings auch im Zusammenspiel mit Bosse Vogt, der nach einem Zeitsprung in den Mantel des erwachsenen Rob schlüpft und mit sympathischer Bühnenpräsenz das Ensemble anführt – selbst wenn er von der Regie meist ebenso im Stich gelassen wird wie seine zukünftige Frau Mary. Vogt und Miriam Neumaier stehen allzu oft verloren vorne an der Rampe, während dahinter mit Projektionen ein romantischer Sternenhimmel, ein Wüstenpanorama oder bunte orientalische Stadtansichten heraufbeschworen werden und das Ensemble in farbenfrohen Kostümen seine Choreografien absolviert. In Sachen Exotik ist da viel geboten.
Das gilt auch für die Partitur, die von Dirigent Dan Kalousek und einem für Musicalverhältnisse erfreulich großen Orchester mit viel Feuer dargeboten wird. Eindruck machen vor allem die wuchtigen Chornummern, während eine an Walt Disneys „Aladdin“ erinnernde Swing-Jazz-Einlage in Isfahan eher für unfreiwillige Komik sorgt. Ebenso wie die teils ungelenk wirkende deutsche Übersetzung, die für die Darstellerinnen und Darsteller so manchen Stolperstein parat hält. Rundum glücklich wird man also auch beim zweiten Anlauf mit dem „Medicus“ nicht.
Weitere Vorstellungen
bis 29. Oktober; Karten unter Telefon 089/55 23 44 44.
Die Hauptdarsteller werden von der Regie alleingelassen
Die deutsche Übersetzung holpert stellenweise