„Auf den Bruchstücken ihrer finsteren Zeiten“

von Redaktion

Das Jüdische Museum Berlin erinnert auch online an den von der Hamas attackierten Kibbuz Be’eri

VON MICHAEL SCHLEICHER

Er wurde 1924 in Polen geboren, musste auf der Flucht vor den Nazis seine Heimat verlassen – und war viele Jahrzehnte im Kibbuz Be’eri in Israel zu Hause. Dort, in der Negev-Wüste unweit des Gazastreifens, überlebten der Lyriker Anadad Eldan, inzwischen 99 Jahre alt, und seine Frau nur knapp das Massaker der Hamas am 7. Oktober. Mehr als 130 Menschen, darunter Kinder, Frauen, Senioren, wurden von den Terroristen an jenem Tag in Be’eri ermordet und mehr als 50 Bewohnerinnen und Bewohner verschleppt.

Über das Leben in der Siedlung, die 1946 gegründet wurde, hat Eldan, der in Israel stets seine Stimme für die Sache der Palästinenser erhoben hat, unter anderem einst das Gedicht „Rehearsing the Spectacle of Spectres“ (Proben zum Drama seiner Visionen) geschrieben. Es steht auch im Zentrum der gleichnamigen Video-Arbeit der israelischen Künstler Omer Krieger und Nir Evron von 2014, die mit dem aktuellen Wissen wie eine Vorahnung auf die Terrorattacke wirkt. In Erinnerung an die Opfer von Be’eri zeigt das Jüdische Museum Berlin den Film in der Eric-F.-Ross-Galerie sowie online auf seiner Homepage.

In ruhigen Kamera-Fahrten und -Schwenks dokumentieren Evron und Krieger die Gebäude des Kibbuz außen und innen. Am Anfang und Ende stehen Aufnahmen einer Drohne, die an Bilder von Überwachungskameras erinnern. Auf der Tonspur sind Menschen aus Be’eri zu hören, die – im Chor oder solo – Eldans Verse lesen. Immer wieder zeigt das Duo die Sprechenden in Porträtaufnahmen, blendet diese übereinander, um das Motiv des Kollektivs herauszuarbeiten.

Zu sehen ist im Film auch Hagay Avni, der zur Verteidigungseinheit des Kibbuz gehörte und getötet wurde. Die Arbeit ist durchweht von Wehmut und dem Wissen um die Schwierigkeit, eine Balance zu finden zwischen den Wünschen des Individuums und jenen einer Gemeinschaft.

„Wir wollten auf die Situation mit den Mitteln eines Museums reagieren“, erklärt Hetty Berg, die Direktorin des Jüdischen Museums Berlin. „Wir wollen, indem wir die Video-Arbeit zeigen, einen Ort des Gedenkens schaffen, der Raum zum Innehalten und für Reflexion bietet. Gleichzeitig wollen wir dem Terror und den Morden etwas entgegensetzen: Wir zeigen das Leben in Be’eri, bevor es zerstört worden ist, ein Kibbuz, in dem Kunst geschaffen wurde. Wir wollen die Erinnerung an das Leben dort vor dem Angriff bewahren.“

In Anadad Eldans Gedicht, dessen Bücher leider nicht auf Deutsch erhältlich sind, heißt es einmal: „Auf den Bruchstücken ihrer finsteren Zeiten/ die Gedanken abgelegt an die Rückkehr all dessen, das passierte“. Der Kibbuz Be’eri wurde durch die Hamas vollständig zerstört.

Bis 10. Dezember

täglich 10-19 Uhr, Lindenstraße 9-14, Berlin; online ist der Film unter www.jmberlin.de kostenfrei zu sehen.

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