Wunder hinterm Maschendrahtzaun

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Jan Wagners augenzwinkernder Gedichtband „Steine & Erden“

VON ALEXANDER ALTMANN

Natürlich kommen sie alle vor: „basalt und feldspat“ genauso wie „schiefer, obererde, quarz“. Von „grauwacke, mutterboden, schluff“ mal ganz zu schweigen. Schließlich heißt Jan Wagners neuer Gedichtband ja „Steine & Erden“, wobei dieser grobmotorische Titel bewusst Assoziationen von Gewerkschafts- oder Firmennamen weckt. Aber solches Kokettieren mit dem Sprachgeröll der Handelsregister und Wirtschaftsteile ist natürlich nur ein neues Beispiel für die augenzwinkernde Artistik dieses durchtriebenen Dichters: Der Kontrast zum Titel lässt das flirrende Filigrangespinst der Lyrik besonders effektvoll hervortreten.

Dass Jan Wagner einen Hang zu erdverbundenen Themen hat, zeigte sich schon in den gärtnerischen Gesängen seines Gedichtbandes „Regentonnenvariationen“ (2014). Und gerade wegen ihrer bodenständigen, buchstäblich materialistischen Sujets erscheinen auch im jüngsten Werk des Büchner-Preisträgers die duftigen Sprachgebilde umso schwereloser. Überspitzt gesagt: Jan Wagner streut uns funkelnde Brillanten hin, als wären sie Schotter – ganz egal, ob er finnische Schnäpse oder Pythonschlangen besingt, über Samurai-Rüstungen sinniert, an die 70er-Jahre erinnert oder die verschiedenen Arten des Regens porträtiert . Gleich das erste Gedicht „reifen“ führt über Stock und Stein in jene ortlosen Brachen, wo „die stadt versickert“, wo sich die urbane Ordnung auflöst und die agrarische noch nicht begonnen hat.

Gerade in jenem verwahrlosten Zwischenreich des Amorphen vermag der Dichter neue, unerwartete Gestalten zu entdecken, wenn ihm ein Umspannwerk zur „in ihrer pracht / erstarrten, riesigen zikade“ wird – und die Altreifendeponie nebenan hinterm Maschendrahtzaun avanciert zur „gummiakropolis“, wo im Sommer „insektenstille“ surrt. Diese auratische Beschwörung der Zivilisationsmüllhalden, die Kulinarik des Erlesen-Peripheren zeigt mustergültig, dass Wagner auch ein sanft verschatteter Idylliker ist. Ein Dichter, der das Glück des Daseins bannt, aber dabei gerade so viel Lehm und Mergel beimischt, dass die Götter nicht neidisch werden. Und zudem ist es ja auch eine herrliche Frechheit, einen Lyrikband, der „Steine & Erden“, also das Natürlichste verspricht, mit einer Ode ans Unnatürlichste, an alte Autoreifen, zu eröffnen. Wie überhaupt Schalk und Ernst bei dem 1971 geborenen Dichter seit je untrennbar sind: durch raffinierte, fast altmeisterliche Rhythmisierung und klug dosierte Klangvaleurs entsteht sein Tonfall gebrochener Feierlichkeit, in dem sich Staunen und Wehmut ausbalancieren. Staunen und Wehmut angesichts einer Welt, die hinterm heimischen Maschendrahtzaun wie bei Reisen auf ferne Kontinente Wunder aufleuchten lässt.

Aber dass all dieses Schöne nicht in Stein gemeißelt, sondern vergänglich ist, und dass wir selbst am Ende Steine und Erden werden, schwingt in Wagners virtuos verkrachten Hymnen mal offen, mal untergründig immer mit. Insofern ist die Manieriertheit, die sein Werk als Spurenelement durchzieht, gewollt: das souverän brillierende, auch ironisch angehauchte Spiel mit Formen wirkt als Abwehrzauber, damit wir nicht versteinern ob der Zumutung der Endlichkeit.

Jan Wagner:

„Steine & Erden“. Hanser Berlin Verlag, 112 Seiten; 22 Euro.

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