Er entwickelte einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil – und wird vielleicht gerade deshalb bis heute von Jung und Alt so geliebt. Die Sketche, Cartoons und Filme von Vicco von Bülow alias Loriot (1923-2011) über das menschliche Miteinander und die Absurditäten des Alltags sind und bleiben Meisterwerke. Viele seiner mit verschmitztem Witz erdachten und mit größter Perfektion realisierten Szenen laufen sozusagen auf Knopfdruck los im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Wie sehr der große Humorist und Humanist ihr Leben und ihr eigenes Schaffen geprägt hat, zeigen die Würdigungen, um die wir Prominente aus Anlass des 100. Geburtstags von Loriot gebeten haben:
Bei Loriot haben immer alle gelacht, Oma, Mama, Papa, meine Schwestern, die Nachbarn und Freunde, wir waren beschenkt mit einem gemeinsamen Sprachcode, der jede Alltagsuntauglichkeit verzieh: „Das Ei ist hart!“, wenn mal was in der Küche schiefging. „Wo laufen sie denn?“, wenn man mal mit etwas komplett daneben lag. Und „Ich will hier nur sitzen!“, wenn man einfach seine Ruhe haben wollte. Mit Loriot waren wir uns einig. Und nicht böse. Mit Loriot waren wir uns wieder gut. Mit Loriot habe ich schon als Kind gelernt, dass Humor heilt, dass er befreien kann und die Menschen einander näherbringt. Ich dachte immer, so etwas ist Magie, eine einzigartige Begabung, ein schicksalhafter Wurf des Universums. Heute weiß ich, mit welcher Akribie, Sprachgenauigkeit und Hingabe sich Loriot seine Genialität hart erarbeitet hat. Vergleichbares findet sich kaum noch in unseren Zeiten, in denen keine Zeit mehr ist für einen Nebensatz, weil nach dem Hauptsatz schon der Lacher sitzen muss.
Dagegen wirkt Loriot wie ein Zen-Buddhist des Humors, in dessen Lächeln sich so viel Seelentiefe und Weisheit spiegeln, dass ich ihm bis heute unendlich dankbar bin und ihn immer wieder zu Rate ziehe. Nicht nur, weil er den Familienfrieden meiner Kindheit rettete, sondern weil ich wegen ihm bis heute glaube, dass Hunde sprechen können – auch wenn der Rest der Menschheit das Gegenteil behauptet. LUISE KINSEHER
Kabarettistin
Da war kein Gramm Fett an den Dialogen, jeder Satz passte, jedes Wort passte, und es war immer auf den Punkt. OLIVER KALKOFE
Satiriker und Schauspieler
Lieber Vicco, ich bin begeistert, dass Du so jung und vital 100 geworden bist. Bis zu meinem Ende werde ich kein Jahr versäumen, Dir zu gratulieren, denn Du bist unsterblich! Dein Polt. GERHARD POLT
Kabarettist
Was er zustande gebracht hat, muss man sich als eines der größten Versöhnungswerke in deutschen Landen vorstellen – die Versöhnung der Deutschen mit dem Humor. Dabei musste er gar keine Feindseligkeit überwinden, die Deutschen hatten wahrscheinlich sogar eine heimliche Sehnsucht danach, auch eine Leichtigkeit des Seins zu spüren, dem Leben heitere Seiten abgewinnen zu dürfen, über sich und andere lachen zu können, die Fähigkeit zur Ironie zu entdecken. Allein, es fehlte nach Jahrzehnten unbegrenzter und unerbittlicher Humorlosigkeit der Glaube, dass das alles möglich wäre. Als Loriot mit dem Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München ausgezeichnet wurde, erzählte sein Laudator Joachim Kaiser eine wunderbare Anekdote. Als Schüler erlebte er seinen deutschtümelnden Lehrer im Nationalrausch: „Kinder, wir leben in großen Zeiten!“ Da antwortete ein Mitschüler: „Kleine wären mir lieber!“ Diese Sehnsucht meine ich. Nicht die Phrasen großer Zeiten nachplappern müssen, bis sie wieder tragisch enden, sondern das Komische, das Heitere, das Ironische im Kleinen genießen zu dürfen – das wär’s doch!
Die Stimmung war also reif für die Versöhnung. Aber erst Loriot brachte den Deutschen bei, dass sie auch konnten, was sie wollten, dass sie durchaus das Talent hatten, Komik zu erkennen, Ironie zu verstehen und Humor zu entwickeln. Es fing ganz leise und schüchtern an. Wir schmunzelten über Männchen mit Knollennasen und versammelten uns vor der Mattscheibe, um laut lachend immer mehr und noch mehr Fernsehsketche mitzuerleben. Dabei wurde immer unklarer, ob das wirklich nur Fernsehfilmchen waren oder in Wahrheit erstaunlich präzise Erinnerungen an eigene Erlebnisse.
Ich bilde mir schon seit Langem ein, ich hätte in meiner Kindheit mal ein wunderschönes Atomkraftwerk zu Weihnachten geschenkt bekommen. Und wäre in irgendeinem Hotel den Herren Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner nackt und mit Bade-Ente in der Badewanne begegnet. Später bin ich den beiden dann auf Sparkassentagen noch öfters begegnet, was ich jedes Mal als ziemlich peinlich empfunden habe. Welche Bereicherung unseres Lebens, dass im Laufe der Jahrzehnte ein sehr kurioses Parallelleben hinzugekommen ist, über das wir uns auch noch mit wildfremden Menschen austauschen können, weil sie es auch erlebt haben. Wem ist es noch nicht passiert, dass er bei wiederholten Videoaufzeichnungen am Schluss verwirrt erzählt hat, er wolle demnächst mit dem Papst eine Boutique in Wuppertal eröffnen? Das sind nicht kollektive Wahnvorstellungen, sondern kollektive Erlebnisse. Sonst könnten wir alle uns ja nicht so präzise erinnern.
Gerade an einem so runden Geburtstag wie dem 100. sollten wir dem allgemeinen Jubel aber auch kritische Einwände entgegenhalten, weil Loriot uns auch einiges geraubt hat. Zum Beispiel – jetzt gerade bedrückend aktuell – die Vorfreude auf einen besinnlichen, stimmungsvollen Advent. Wer kann noch feiern, dass die Sternlein funkeln, das Feuer im Kamin knistert und Rehgwichtl die gute Stube zieren – wenn wir uns sofort fragen müssen, wo die Försterin die Leichenteile des soeben ermordeten Försters in Geschenkpäckchen verteilt und versteckt haben könnte? Seit Loriots bösestem Gedicht ist der Dezember nicht mehr, was er sein sollte. Aber sonst, großer Meister, sind wir für alles dankbar.
CHRISTIAN UDE
Münchner Alt-OB
Wer mit einem „Ach“ den Zustand der Welt ausdrücken kann, ist ein Guter. Ein sehr Guter. Und wir alle, die wir auf Deutsch vor Publikum komisch sein wollen, hängen irgendwie an diesem Herrn. So. Und bevor wer fragt – natürlich haben wir bei Loriot geklaut. Und wie! Und wir tun es immer noch. Wir müssen bei ihm klauen. Das ist ein Klauzwang. Geradezu eine Klaupflicht.
Aber was bleibt uns anderes übrig, wenn wir in dieser Sprache Verklemmung, Anstand oder alte und neue Bürgerlichkeit spielen wollen? Und wer einem lustigen Dialog Rhythmus geben will, hat schon bei ihm geklaut, bevor ein einziges Wort hingeschrieben ist. Das heißt dann zwar Timing, man könnte es aber auch Loriot nennen.
Damit möchte ich uns glückliche, kleine Diebinnen und Diebe ein wenig entschuldigen. Wir stehlen bei ihm nicht bewusst und gezielt. Wir haben diesen Diebstahl einfach im Hirn und im Körper und können nichts dagegen tun. Und sind danach sehr stolz und glücklich. Auf uns selbst, aber auch auf diesen Herrn, der diese Momente vor uns ausgebreitet hat.
Diese Augenblicke sind auch noch gekleidet in eine Hochsprache, die sich dem Lachen eigentlich völlig sperrt und immer wieder den verzweifelten, deutschen Versuch unternimmt, um alles in der Welt nicht lustig zu sein oder nicht aufzufallen und die gerade dadurch unglaublich komisch wird. Und plötzlich haben wir die Spießer lieb, die stolpern und ausrutschen, sowohl auf ihrem Teppich als auch auf ihrer Sprache. Denn wir spüren, dass wir das selber sind. Also echte Lebenshilfe. Das auch noch.
Die Frage, ob diese Szenen und Dialoge überhaupt noch zeitgemäß sind, wird in dem Moment vollkommen sinnlos, in dem ich vor die Tür trete oder mit irgendjemandem da draußen ins Gespräch komme. Dann ist die Welt plötzlich voller gekochter Eier, schief hängender Bilder, dicker Nasen, Schlitzverstärker, Klaviere, Lametta, Kussköpfen, Nudeln, Schwanzhunden und Badewannen. Und sie ist erfüllt von einem „Ach“. Jenem „Ach“, das nichts kapiert, aber alles versteht.
ALEXANDER LIEGL
Kabarettist und Autor
Er ertappt die Deutschen halt immer wieder in ihrer gespielten Weltläufigkeit, und am Ende sind sie doch irgendwie alle spießig.
HAPE KERKELING
Komiker und Autor
Ich habe Loriots Genauigkeit bewundert. Diese Aufrichtigkeit, mit der er uns Dinge näher brachte und dabei immer den richtigen Ton traf. Einerseits hat er in jeder Ära den jeweiligen Zeitgeist klug repräsentiert, andererseits eine große Allgemeingültigkeit erreicht in allem, was er tat. OLLI DITTRICH
Schauspieler und Komiker